Eduard Castle, Prof. Dr. phil.
Germanist, Professor für Deutsche Philologie und Neuere deutsche Literaturgeschichte), Lehrender Theaterwissenschaft
- German Studies
- Theatre Studies
- Faculty of Philosophy
Eduard Castle, geb. 1875 in Wien, entstammt einer väterlicherseits 1764 – im Auftrag des englischen Königs – aus England immigrierten Familie, die wichtige Positionen im österreichischen Hof-, Militär- und Staatsdienst einnahm. Er besuchte von 1885 bis 1893 das k. k. Franz-Joseph-Gymnasium in Wien und studierte anschließend Germanistik, Geschichte und Geographie an der Universität Wien. Nach seiner Promotion 1897 legte er 1899 die Lehramtsprüfung an der Universität Wien ab. Im Anschluss daran war er bis 1923 als Mittelschullehrer tätig, vorerst an der Staatsrealschule im 4. Wiener Gemeindebezirk (1899–1900), dann an der Staatsrealschule in Görz (1900–1901) und schließlich am Franz-Joseph-Gymnasium in Wien (1901–1923).
1907 habilitierte er sich an der Universität Wien mit der Schrift „Lenau und die Familie Löwenthal. Briefe und Gespräche, Gedichte und Entwürfe. Vollständiger Abdruck nach den Handschriften“ und wurde 1915 zum ao. Prof. ernannt. Bereits 1913 hatte sich Castle auch an der TH Wien für neuere deutsche Literaturgeschichte habilitiert. 1923 erfolgte die Ernennung zum Extraordinarius für österreichische Literaturgeschichte mit Lehrverpflichtungen an der Universität Wien wie auch an der Technischen Hochschule. Neben seiner Lehrtätigkeit an zwei Wiener Hochschulen und im Mittelschuldienst war Castle auch Mitglied der staatlichen Prüfungskommission für Mittelschulen, für das Lehramt an höheren Handelsschulen und für das Lehramt der Musik an Mittelschulen und Lehrerbildungsanstalten sowie Dozent an der Konsularakademie und am Pädagogischen Institut der Stadt Wien.
Nach dem „Anschluss“ Österreichs an das Dritte Reich beurlaubte das Unterrichtsministerium Castle mit Erlass vom 22. April 1938 bis auf weiteres von seiner Tätigkeit an der Universität Wien und versetzte ihn mit Ende Mai 1938 in den zeitlichen Ruhestand. Castle war damit – laut „Internationalem Germanistenlexikon“ – der einzige im Nationalsozialismus aus „politischen“ Gründen entlassene Germanist an Österreichs Hochschulen. Mit der Fortführung seiner Vorlesungen betraute das Dekanat Hans Rupprich. An der Technischen Hochschule Wien und der Konsularakademie musste er seine Lehrtätigkeit ebenfalls einstellen. Die Gründe für die Zwangspensionierung lagen u. a. darin, dass Castle – laut Sicherheitshauptamt – 1918 als Dozentenvertreter im Professorenkollegium die Wahl von Räten, ähnlich der Soldatenräte, gefordert hatte und „energisch für die Forderung der Linken ein[getreten]“ sei. Deshalb sei er als Dozentenvertreter auch nicht wiedergewählt worden. Seine antinationalsozialistische Einstellung sah man auch dadurch bestätigt, dass er sich „scharf gegen eine Abschiedsadresse des Kollegiums beim Ausscheiden eines vom System entfernten Professors“ ausgesprochen hatte. Dabei handelte es sich um den Paläontologen und Evolutionsbiologen Othenio Abel, der in der Folge an die Universität Göttingen wechselte. Ablehnung unter den NS-Machthabern rief auch seine „Deutschösterreichische Literaturgeschichte“ hervor, für deren Endredaktion er sich verantwortlich zeigte. In dieser war er offensiv „für die Eigenständigkeit österreichischer Kulturleistungen [...], insbesondere der Literatur und des Theaters der Habsburgermonarchie“ eingetreten, womit er auch dem „großdeutschen“ Gedanken widersprochen hatte. Konkret angelastet wurde ihm allerdings die Würdigung von jüdischen Persönlichkeiten wie Gustav Mahler, Viktor Adler, Max Reinhardt oder Arthur Schnitzler. Castle habe diese, so das Sicherheitshauptamt, „kaum kritisch, geschweige denn ablehnend“ bewertet, ja „eine ganze Reihe von Juden [werde] ausgesprochen positiv beurteilt“. Zu Otto Weininger ist in Castles umfangreichem Werk etwa zu lesen, dieser sei „[e]in typisches Beispiel für den selbst vom Antisemitismus angesteckten 'entwurzelten' Juden, dem die schöne Mischung von jüdischer Energie und hellenischer Elastizität ewig versagt“ geblieben sei.
Diese Umstände hielten Castle aber nicht davon ab, in einem Schreiben vom 8. Juli 1938 eine nationalsozialistische Einstellung seinerseits zu behaupten und verschiedene Fakten „zurechtzurücken“. Sein Eintreten für einen Bürgerrat könne er sich etwa nur unter dem Gesichtspunkt erklären, dem Bolschewismus „durch Vertreter des Bürgerstandes entgegenzuwirken“. In seiner „Deutschösterreichischen Literaturgeschichte“ wiederum würden „die Fehlbegriffe und die Unfruchtbarkeit des großbürgerlichen Liberalismus auf allen Gebieten – politisch wie kulturell rücksichtslos aufgedeckt“. V. a. in von ihm verfassten Abschnitten werde „der schädliche Einfluß des Judentums auf Theater, Presse, Kritik ohne Beschönigung dargetan, der Kampf Schönerers gegen die liberale Presse mit der größten Sympathie verfolgt“. Zur Untermauerung seiner Behauptungen verwies er auch auf die Betätigung seiner vier Töchter bzw. seiner Frau in NS-Organisationen. Castles Frau war Mitarbeiterin der Abteilung Grenz- und Ausland der Gaufrauenschaftsleitung Wien, seine Töchter übten etwa Funktionen als Kulturreferentin bei der NS-Frauenschaft oder Volks- und Hauswirtschaftsreferentin aus. Hätte man es ihm durch die Pensionierung nicht verunmöglicht, „wäre [er] als Beamter rückhaltlos für den NS Staat eingetreten“.
Dem nicht genug versuchte sich Castle auch anderweitig als NS-Anhänger zu präsentieren. Gauinspekteur Berner etwa echauffierte sich darüber, dass „Castle bei einem Vortrag von Reichsminister Rust sich ostentativ in die vorderste Reihe setzte, das Knopfloch mit einem Hackenkreuz [sic!] geschmückt“. Castle wurde schließlich nach der Berufsbeamtenverordnung behandelt und mit Ende Mai 1939 in den dauernden Ruhestand versetzt. Sein Ansuchen um eine „förmliche Reaktivierung“, um eine Pensionserhöhung zu erreichen, hatte keinen Erfolg, zumal Castle sich laut Dozentenbundführer an der Universität Wien, Arthur Marchet, „während seiner Tätigkeit an der Universität sich nicht als ein Mann erwiesen [habe], der jetzt mehr als notwendig der Schonung bedarf“. Einer Lehrtätigkeit konnte er im NS-Regime nicht mehr nachgehen. Allerdings war er in den Jahren 1941 und 1942 für die beiden von der Wien-Film-Gesellschaft produzierten Filme „Brüderlein fein“ und „Wen die Götter lieben. Mozart“ als historischer Berater tätig.
Einzelnen Quellen zufolge war er während der NS-Zeit der Bewachung durch die Gestapo ausgesetzt, wie auch seine Bücher verboten gewesen seien. Während die Observation durch die Gestapo Castles eigenen Angaben entstammen dürfte, entspricht die Behauptung um das Verbot seiner Bücher nur teilweise den Tatsachen. Castle hatte durchaus noch die Möglichkeit zu publizieren – davon zeugt etwa ein Ansuchen um Druckkostenbeitrag aus dem Jahr 1940. Nach dem „Anschluss“ veröffentlichte er zudem in der „Neuen Freien Presse“ und anderen Wiener Zeitungen „geschichtliche[n] Gedenkartikel“. In einem Schreiben vom 4. Mai 1945 an das Staatsamt für Volksaufklärung berichtet Castle davon, „mit Mühe die Erlaubnis zur Wiederaufnahme [s]einer wissenschaftlichen Vortragstätigkeit und Schriftstellerei“ erhalten zu haben. Dem Georg-Fromme-Verlag sei allerdings der Verkauf seiner „Deutschösterreichischen Literaturgeschichte“ verboten gewesen, während seine Vortragssammlung „In Goethes Geist“ [1926 erschienen, Anm.] „zum Einstampfen verurteilt“ worden sei. Von einem Publikations- bzw. Vortragsverbot finden sich in den Akten übrigens keine Spuren. Fragen zu Castles Wirken in der NS-Zeit wirft schließlich ein Schreiben der „Sudetendeutschen Anstalt für Landes- und Volksforschung in Reichenberg“ auf, die von der Gauleitung Wien eine „ausführliche[n] charakterliche[n] und politische[n] Beurteilung“ anforderte.
Bereits kurz nach der Befreiung Wiens, am 4. Mai 1945, suchte Castle um seine Wiedereinsetzung an, die in der Folge rasch vonstatten ging. Er konnte bereits im Sommersemester 1945 wieder lesen und wurde mit Erlass vom 22. Dezember 1945 zum Mitdirektor des germanistischen Institutes sowie – als Nachfolger des entlassenen Heinz Kindermanns – zum Direktor des Instituts für Theaterwissenschaft ernannt. Mit Wirkung vom 27. April 1945 ernannte man ihn zum Ordinarius. Im Bereich der Theaterwissenschaft deckte er im Wintersemester 1945/46 mit einem Seminar und einer Vorlesung auch das gesamte Lehrangebot ab, während er wie vor der NS-Machtübernahme auch die Lehrkanzel für neuere deutsche Literaturgeschichte innehatte. Dem auf Antrag der Fakultät gewährten Ehrenjahr 1946/47 folgte die Ernennung zum Honorarprofessor, in welcher Funktion Castle noch bis September 1949 tätig war. In seinen letzten Jahren an der Universität Wien übernahm er ein über seinen Lehrauftrag hinausgehendes Pensum, nämlich eine drei- oder vierstündige Vorlesung aus Theatergeschichte sowie zwei zweistündige Seminare. Für das Studienjahr 1949/50 hatte die Fakultät zwar eine Weiterbestellung Castles beantragt, allerdings ließ das Ministerium den Vertrag auslaufen und forderte die Fakultät zur Neubesetzung der beiden Lehrkanzeln auf. Castle selbst übte in seiner inoffiziellen Abschiedsvorlesung scharfe Kritik an den Verantwortlichen und verglich die Situation mit jener 1938. Felix Hurdes, der Unterrichtsminister, habe die Lehrkanzel [gemeint ist jene für Theaterwissenschaft, Anm.] Mitte 1949 jemand anderem versprochen. Im April 1954 sollte der NS-belastete Heinz Kindermann als Extraordinarius an den Lehrstuhl zurückkehren.
Castle hatte eine Vielzahl von Mitgliedschaften in in- und ausländischen Organisationen vorzuweisen. So war er u. a. auswärtiges Mitglied der „Provinciaal Utrechts Genotschap van Kunsten en Wetenschappen“, Präsident des Volksbildungsvereins „Apolloneum“ wie auch des Vereins „Wiener Volkskonservatorium“, Mitglied im Wiener Goethe Verein (seit 1933 Redakteur der Chronik, 1945 Präsident, später Ehrenmitglied), Mitglied im Literarischen Verein Wien (ab 1921, ab November 1950 Ehrenpräsident), von 1913 bis 1922 Mitglied und zeitweise Obmann der Vereinigung deutschösterreichischer Hochschuldozenten, zudem Vizepräsident der Gesellschaft für Zeitungskunde, Mitglied der Gesellschaft für Deutsche Bildung, aus der er 1935, als diese sich dem NS-Lehrerbund anschloss, wegen des NSDAP-Verbots in Österreich austrat, Mitglied des Schwäbischen Schillervereins (ab 1946 Deutsche Schillergesellschaft), Mitglied des Beirats sowie später Präsident der Adalbert-Stifter-Gesellschaft in Wien, von 1943 bis 1954 Präsident der Gesellschaft für Wiener Theaterforschung in Wien. 1946 wurde er Mitglied im Hauptausschuss des Österreichischen Volksliedwerks, 1949 Vorstandsmitglied der Grillparzer-Gesellschaft und 1950 korrespondierendes Mitglied der Sociedade Goetheana Sao Paulo, zudem 1945 korrespondierendes Mitglied und Delegierter in der Jury für die Verleihung des Grillparzer-Preises der Akademie der Wissenschaften.
Castles wissenschaftliche Verdienste liegen v. a. in der Herausgabe von Werken Lenaus, Anzengrubers, Grillparzers, Raimunds sowie von Eckermanns „Gesprächen mit Goethe“. Davon abgesehen betätigte er sich als Essayist und Vortragender und vollendete die von Johann Willibald Nagl und Jakob Zeidler begonnene „Deutschösterreichische Literaturgeschichte“. Castles Schwerpunkte in der Lehre lagen in der Aufklärung und der Goethezeit wie auch in österreichischer Literatur, Interpretationsübungen für Lehramtskandidaten und schließlich Geschichte und Methodik des Deutschunterrichts. In Rahmen seiner Forschungen konzentrierte er sich auf Deutsche Klassik, Goethe, Schiller und österreichische Literatur.
Ehrung
Castle erhielt am 8. März 1938 den Ehrenring der Stadt Wien, der ihm aufgrund des „Anschlusses“ an Nazi-Deutschland nicht mehr überreicht werden konnte. 1950 verlieh ihm die Stadt Wien die Ehrenmedaille, 1953 den Preis der Stadt Wien für Geisteswissenschaften. Am 14. Juni 1969 wurde eine Gedenktafel an seinem Wohn- und Sterbehaus in Wien 9., Liechtensteinstraße 11 angebracht, 1972 wurde die Castlegasse in Wien Floridsdorf nach ihm benannt.
Links
> Gedenkbuch für die Opfer des Nationslsozialismus an der Universität Wien 1938
> Wien Geschichte Wiki
> Wikipedia
Archiv der Universität Wien PA PH 1182 und PHIL GZ 659 ex 1937/38 | Bundesarchiv Berlin, RK, Mikrofilme P 2, U 85, B 25 und U 16 | Österreichisches Staatsarchiv, AVA, Personalakt Castle, AdR, Personalakt Castle und Gauakt Castle;
Zuletzt aktualisiert am 03/31/25