Von der Radiumforschung zur Nutzung der Kernenergie

1939–21. Jhdt.

„Das ist in meinen Augen gerade der große moralische Wert der naturwissenschaftlichen Ausbildung, daß wir lernen müssen, Ehrfurcht vor der Wahrheit zu haben, gleichgültig, ob sie mit unseren Wünschen oder vorgefaßten Meinungen übereinstimmt oder nicht.“
Lise Meitner

Lise Meitners Arbeit war ein wesentlicher Beitrag zur Atomphysik. Als erste deutete sie ein physikalisches Experiment als Kernspaltung. Meitners Theorie der Kernspaltung hatte ungeahnte Konsequenzen. Die Physikerin äußerte sich schon früh zur Verantwortung der Forscher. Den Frauen in der Wissenschaft gab sie ein leuchtendes Vorbild.

Lise Meitner, Physikerin

Lise Meitner (1878–1968) war eine österreichische Kernphysikerin. 1939 veröffentlichte sie zusammen mit Otto Frisch die erste theoretisch-physikalische Erklärung der kurz zuvor von Otto Hahn entdeckten Kernspaltung. Meitner und Frisch konnten zeigen, dass der Kernspaltungsprozess mit der Freisetzung von Energie verbunden ist.

Elise (Lise) Meitner wurde am 7. November 1878 in Wien geboren. Im Juli 1901 legte Meitner die Matura am Akademischen Gymnasium in Wien ab und im Oktober 1901 begann sie mit den Studien der Physik, Mathematik und Philosophie an der Universität. Nach ihrer Promotion 1906 arbeitete sie als unbezahlte postdoktorale Forscherin am Institut für Physik der Universität Wien. 1907, mit neunundzwanzig Jahren, ging Meitner nach Berlin, um die Vorlesungen bei Max Planck zu hören. Geplant war ein einjähriger Forschungsaufenthalt. Es wurden daraus einunddreißig Jahre.

In Berlin traf Lise Meitner auf den vier Monate jüngeren Chemiker Otto Hahn, der auf dem Gebiet der Radioaktivität arbeitete. Es war der Beginn einer engen, dreissig Jahre dauernden Forschungskooperation. In den Jahren 1912 bis 1915 war Lise Meitner Assistentin von Max Planck. 1922 habilitierte sie sich und lehrte ab 1923 an der Berliner Universität.

Im Jahr 1926 wurde sie zur außerordentlichen Professorin ernannt. Im September 1933 wurden Lise Meitner von der NSDAP sowohl Titel wie auch Lehrbefugnis aufgrund ihrer jüdischen Herkunft entzogen. Im Juli 1938 floh sie in die Niederlande und emigrierte über Dänemark nach Schweden. Lise Meitner erhielt in späteren Jahren vielfache Ehrungen und die ihr gebührenden wissenschaftlichen und öffentlichen Auszeichnungen für ihr Werk und ihr Leben. Der höchste Preis blieb ihr versagt. Otto Hahn erhielt 1945 den Nobelpreis für Chemie. Meitner wurde dabei übergangen.

1939

Meitner und ihr Neffe Otto Frisch beschreiben in ihrem Artikel ein physikalisches Experiment von Otto Hahn und Fritz Straßmann, das diese einige Wochen davor durchgeführt hatten. Hahn und Straßmann hatten in ihrem Experiment Uranium mit Neutrinos bombardiert. In diesem Verlauf entstand Barium. Meitner und Frisch bestätigten das Experiment und kamen zum Schluss, dass der experimentelle Vorgang ein Fall von Kernspaltung war. Frisch hatte in einem Artikel in Nature aus demselben Jahr den Begriff der Kernspaltung („fission“) geprägt. Die Veröffentlichungen von Hahn und Straßmannn und von Meitner und Frisch setzten eine Entwicklung in Gang, die – gefördert durch die Krisenstimmung der Zeit und die drohende Kriegsgefahr durch Hitler-Deutschland – in der Folge zum Manhattan-Projekt und zur Atombombe führte.

Der Wert und die Wirkung ihres Werkes

Die Kernspaltung setzt Energie frei, ein Prozess der auf vielfältige Weise genutzt werden kann, von der Stromerzeugung und dem Antrieb von Schiffen bis zu kriegerischen Waffen. 1945 wurden auf Nagasaki und auf Hiroshima die ersten Atombomben abgeworfen. Seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts muss die Menschheit mit der Angst ihrer Auslöschung leben. Die desaströsen Auswirkungen der militärischen Nutzung der Atomtechnik wurden von vielen Forschern und insbesondere von Lise Meitner kritisiert. Die friedliche Nutzung der Kernspaltung im Energiesektor begann mit dem ersten russischen Kernkraftwerk in Obninsk, südlich von Moskau, im Jahre 1954. 1964 weihte Meitners ehemaliger Kollege Otto Hahn ein durch Kernkraft betriebenes deutsches Frachtschiff ein. Es trug seinen Namen.

Lise Meitner wurde zum Vorbild vieler Frauen, die sich im Laufe des 20. Jahrhunderts einen Platz in der wissenschaftlichen Forschung erkämpften. Hierfür hatte Meitner eine Vorreiterrolle. Heute übertreffen Frauen die Männer in ihrer Bildungsqualifikation.

„Lise Meitner hat essentielle Beiträge zur Theorie der Kernspaltung geliefert und hätte zusammen mit Otto Hahn den Nobelpreis verdient gehabt. Als Frau mit jüdischer Herkunft sind ihre Verdienste und ihre Leistungen um so beeindruckender, als sie in einer Zeit gearbeitet hat, in der diese beiden Tatsachen Nachteil und Bedrohung für sie waren.“
André Hoang, Professor für Theoretische Physik an der Universität Wien

Christoph Limbeck-Lilienau, Dieter Schweizer

Zuletzt aktualisiert am : 19.03.2017 - 11:37

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