Kurt Mothes, Univ.-Prof. Dr. phil., Dr. h.c. mult.

3.11.1900 – 12.2.1983
geb. in Plauen, Deutschland gest. in Ahrenshoop, Deutschland

Botaniker, Pflanzenphysiologe, 1954-1974 Präsident der Leopoldina

Ehrungen

Ehrung Titel Datierung Fakultät
Ehrendoktorat Dr. phil. h.c. 1964/65 Philosophische Fakultät

Kurt Mothes wurde im Rahmen der Feierlichkeiten zum 600. Jubiläum der Universität Wien am 11. Mai 1965 das Ehrendoktorat verliehen. Begründet wurde es mit seinen grundlegenden Leistungen als Pflanzenphysiologe und als erfolgreicher experimenteller Botaniker, der wie kaum ein Zweiter biochemisches Können und entwicklungsphysiologische Experimentierkunst verband und auf dem Gebiet der Stoffwechselphysiologie und der chemischen Physiologie Grundlegendes geleistet hatte. (Die Sechshundertjahrfeier der Universität Wien. Offizieller Festbericht, Wien 1965, S. 52)

Die Ehrung wird 2022/23 aufgrund von Kurt Mothes Involvierung in den Nationalsozialismus als „diskussionswürdig“ eingestuft. Er war von Mai 1933 bis April 1945 aktiver Nationalsozialist (Mitgliedsnummer der NSDAP 1.981.138), übernahm am 4. Oktober 1933 die Leitung des NS-Studentenwerks in Halle und war ab November 1933 SA-Mitglied, und betrieb in der Zeit des Nationalsozialismus waldgeschichtliche und ökologisch-physiologische Forschungen zur „Erweiterung des deutschen Lebensraumes“.

Akademischer Werdegang

Kurt Mothes absolvierte Ende des Ersten Weltkrieges mit Notabitur die Oberrealschule und begann eine Apotheker-Lehre in Plauen. Ab 1921 studierte er an der Universität Leipzig Chemie und Pharmazie, legte 1923 das pharmazeutische Staatsexamen ab, erweiterte seine Studien um Physiologie und Pharmakologie und promovierte 1925 an der Friedrichs-Universität in Halle. Dort arbeitete er 1925–1934 als außerplanmäßiger Assistent am Botanischen Institut und habilitierte sich 1928 über den „Nikotinumsatz der Tabakpflanze“ für Botanik und Pharmakognosie. 1927 erhielt er die Approbation als Apotheker.

In der NS-Zeit lehnte er 1933 Rufe an die Universitäten Bern und Ankara wie auch ein Rockefeller-Stipendium und eine Anstellung bei der IG Farben ab und wurde 1934 zum nichtbeamteten außerordentlichen Professor ernannt. Ab November 1934 leitete er vertretungsweise im preußischen Königsberg (heute: Kaliningrad/Russland) das Botanische Institut der dortigen Albertus Universität sowie den Botanischen Garten und wurde 1935 zum ordentlichen Professor der Botanik und Pharmakologie an der Universität Königsberg berufen, wo er bis zum Ende des Nationalsozialismus auch blieb. 1939/40 leistete er Kriegsdienst als Feldapotheker, Anfang 1945 war er im freiwilligen Sanitätsdienst für die pharmazeutische Versorgung Königsbergs zuständig. Seine Forschungen wurden im Dritten Reich von der Deutschen Forschungsgesellschaft mit 64 Projektgenehmigungen (Projektförderungen, Geräteanschaffungen, Stipendien etc.) gefördert.

Als Nationalsozialist war er 1945 bis 1949 in sowjetischer Kriegsgefangenschaft in Sibirien, wo er als Waldarbeiter, später als Spitalsapotheker arbeitete.

Nach der Entlassung im Herbst 1949 in die neu gegründete DDR wurde er Abteilungsleiter für Chemische Physiologie am Akademie-Institut für Kulturpflanzenforschung in Gatersleben. 1951 bis 1962 war er ordentlicher Professor für Pharmakognosie an der Universität Halle. 1954 wurde er zum Präsidenten der Akademie der Naturforscher „Leopoldina“ gewählt.

1957 übernahm Kurt Mothes in Halle als Leiter die neu gegründete Arbeitsstelle für Biochemie der Pflanzen (später: Institut für Biochemie der Pflanzen der Akademie der Wissenschaften der DDR). 1966 emeritierte er, blieb er aber noch bis 1974 Präsident der „Leopoldina“.

Wissenschaftliche Leistungen

Er gehörte zu den Pionieren, die pflanzenphysiologische Probleme mit chemischen Methoden zu lösen versuchten, und setzte Meilensteine auf dem damals noch jungen Forschungsgebiet der Pflanzenhormone. Ausgangspunkte seiner Forschungen waren Untersuchungen zur physiologischen Rolle der Säureamide Asparagin und Glutamin. Fragen zu Entgiftung, Speicherung und Transport organischer Stickstoffverbindungen haben ihn viele Jahre beschäftigt. Die Physiologie und Biochemie der Alkaloide, insbesondere die Biosynthese und Gewinnung der Schlafmohn- und Mutterkornalkaloide standen im Mittelpunkt seiner wissenschaftlichen Arbeit. Zeitweise war Halle das „Mekka der Alkaloidforschung“. Mit der Isotopenmethode untersuchte Mothes das Altern der Blätter und fand heraus, dass bewurzelte Tabakblätter im isolierten Zustand grün bleiben, also „nicht altern“ oder braun werden, da in den Wurzeln vermutlich Hormone oder hormonähnliche Substanzen gebildet werden, die den Prozess des Alterns unterdrücken.

Kurt Mothesʼ wissenschaftspolitisch größter Verdienst war sein Engagement, die in der DDR gelegene „Leopoldina“ weitgehend entideologisiert und über die Ost-West-Grenze im Kalten Krieg weltoffen, international und unabhängig zu erhalten.

NS-Involvierung

Kurt Mothes war früh in der völkisch-nationalistisch ausgerichteten bündischen Jugend organisiert (Mitglied der Deutschen Freischar, Großdeutscher Bund, ab 1925 Gauführer und Mitglied der Bundesführung bis zur Auflösung 1933). Er schuf 1932/33 mit dem Wirtschaftswissenschaftler Gerhard Mackenroth einen studentischen „Freiwilligen Arbeitsdienst“ an der Universität Halle und war 1933 Referent für das studentische Werkhalbjahr im Arbeitsamtsbezirk Erfurt-Halle, sowie ab 1933 Leiter des NS-Studentenwerks in Halle. Ab 1. Mai 1933 war er Mitglied der NSDAP (Nr. 1.981.138), war ab Oktober 1933 auch in der SA und zudem ab 1935 Mitglied des NS-Dozentenbundes.

In einem Front-Heimaturlaub gründete Mothes 1941 in Königberg auch einen Forschungskreis zur Erforschung Ostpreußens, in dem er unter dem Schirmherrn Gauleiter Erich Koch und dem Vorsitzenden Hans-Bernhard von Grünberg (Rektor der Albertus-Universität, Gaudozentenbundführer und Gauamtsleiter im Gau Ostpreußen) als wissenschaftlicher Sekretär mitarbeitete. Ob bzw. wie weit er auch seine wissenschaftlich-inhaltliche Arbeit in den Dienst der NS-Ideologie stellte, ist bislang noch nicht hinreichend erforscht, doch Ute Deichmann kommt in ihrer Arbeit über Biologist under Hitler schon 1996 zu dem Schluss: „Among the eminent biologist who got involved with the ideology and politics of National Socialism and supported them in essential points were Konrad Lorenz and Kurt Mothes“. Ernst Klee zitiert im Personenlexikon zum Dritten Reich zu Kurt Mothes die Acta Historica Leopoldina, dass er „aktiver Nationalsozialist [war] … der Forschung zur ‚Erweiterung des Lebensraumes‘ betrieben hat, der mit dem Gauleiter Erich Koch auf die Jagd gegangen ist.“ Mothes gehörte unter den Botanikern an den deutschen Universitäten im Nationalsozialismus zu den Spitzenreitern bei der Forschungsfinanzierung durch die DFG, davon 2/3 für Forschung im Krieg (1940 und 1945), u.a., für waldgeschichtliche und ökologisch-physiologische Untersuchungen in Ostpreußen, ab 1943 auch „in den neuen Ost-Gebieten“ wobei dies im Zusammenhang mit den SS-Plänen zu sehen ist, die nach der Vertreibung und Ermordung der lokalen Bevölkerung Deutsche „im Osten“ ansiedeln wollten, was in manchen Gegenden klimatisch aber nur möglich sei, wenn dort reiche Waldgebiete geschaffen und damit eine Klimaveränderung herbeigeführt würde.

Ehrungen

Die Universität Wien verlieh ihm im Rahmen der Feierlichkeiten zum 600-Jahr Jubiläum am 11. Mai 1965 das Ehrendoktorat der Philosophie (auf Vorschlag des Fachbereichs Botanik 1963). Der Dekan der verleihenden Fakultät Walther Kraus begründete die Verleihung bei der Feier folgendermaßen:

„Dr. Kurt Mothes, ordentlicher Professor an der Universität Halle-Wittenberg, ist einer der bedeutendsten Vertreter der Pflanzenphysiologie in Deutschland. Er hat zumal auf dem Gebiet der Stoffwechselphysiologie und der chemischen Physiologie Grundlegendes geleistet, so durch seine jahrzehntelang geführten Untersuchungen des Eiweißstoffwechsels, der Physiologie der Aminosäuren, der Alkaloide, der Aufnahme und des aktiven Transportes des Stickstoffes in der Pflanze. Mothes ist einer der erfolgreichsten experimentellen Botaniker; er verbindet wie heute kaum ein zweiter biochemisches Können und entwicklungsphysiologische Experimentierkunst. Als Präsident der Deutschen Akademie der Naturforscher Leopoldina in Halle hat Mothes deren hohes wissenschaftliches Niveau zu erhalten und noch zu erhöhen verstanden.“
(Die Sechshundertjahrfeier der Universität Wien. Offizieller Festbericht, Wien 1965, S. 52)

Zu diesem Zeitpunkt hatte er bereits das Ehrendoktorat der Medizin der Universität Halle-Wittenberg (1960) und das Agrarische Ehrendoktorat der Christian-Albrechts-Universität Kiel (1960) erhalten, und es folgten noch das naturwissenschaftliche Ehrendoktorat der Universität Halle-Wittenberg/Greifswald (1965) und das pharmazeutische Ehrendoktorat der Universität der Wissenschaften Szeged (1971).

Vor der Wiener Ehrung hatte er auch schon die Péter-Pázmány-Medaille der Universität Budapest (1936), den Nationalpreis der DDR, 2. Klasse (1953), den Vaterländischen Verdienstorden in Silber (1959 und 1960), die Cothenius-Medaille der Leopoldina (1960), die Hoest-Madsen-Medaille der Fédération Internationale Pharmaceutique (1962) und die Otto-Warburg-Medaille (1965) erhalten. Es folgten noch die Auszeichnungen Carl-Mannich-Medaille der Deutschen Pharmazeutischen Gesellschaft (1965), Hervorragender Wissenschaftler des Volkes (1965), Pour le Mérite (1968), August-Kekulé-Medaille der Chemischen Gesellschaft der DDR (1968), Paul-Karrer-Vorlesung und Medaille der Universität Zürich (1968), Banner der Arbeit (1970). Zudem wurde er zum Ehrensenator der Universität Halle (1975) ernannt und mit dem Österreichischen Ehrenzeichen für Wissenschaft und Kunst (1975) und dem Stern der Völkerfreundschaft in Gold (1981) geehrt.

Weiters war er Mitglied der Sächsischen Akademie der Wissenschaften (1954), Mitglied (und 1958 Vorsitzender) der Deutschen Gesellschaft für Arzneipflanzenforschung, Ehrenmitglied der Indischen Botanischen Gesellschaft (1960) und der mathematisch-naturwissenschaftlichen Klasse der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (1960), Mitglied der Rajasthan Academy of Sciences, Pilani/India (1960), Ehrenmitglied der Ungarischen Akademie der Wissenschaften (1964), Korrespondierendes Mitglied der Akademie der Rumänischen Volksrepublik (1965) und Korrespondierendes Mitglied der Heidelberger Akademie der Wissenschaften (1965).

Werke (Auswahl)

  • Ein Beitrag zur Kenntnis des N-Stoffwechsels höherer Pflanzen, in: Planta 1, 1926, 472–552
  • Pflanzenphysiologische Untersuchungen über die Alkaloide, 1. Das Nikotin im Stoffwechsel der Tabakpflanze, Planta 5, 1927, 563–615
  • Die Wirkung des Wassermangels auf die Eiweißumsatz in höheren Pflanzen, in: Berichte der Deutschen Botanischen Gesellschaft 46, 1928, 59–67
  • Zur Kenntnis des N-Stoffwechsels höherer Pflanzen, 3. Beitrag (unter bes. Berücksichtigung des Blattalters und des Wasserhaushaltes), Planta 12, 1931, 686–731
  • Die natürliche Regulation des pflanzlichen Eiweißstoffwechsels, Berichte der Deutschen Botanischen Gesellschaft 51, 1933, 31–46
  • Über den Schwefelstoffwechsel der Pflanzen II, Planta 29, 1938, 67–109
  • gem.m. K. Hiecke: Die Tabakwurzel als Bildungsstätte des Nikotins, in: Naturwissenschaft 31, 1943, 17–18
  • Über die Alkaloidsynthese in isolierten Lupinenwurzeln, Nova Acta Leopoldina (NAL) NF 33, 1946, 26
  • Über Allantoinsäure und Allantoin, I: Ihre Rolle als Wanderform des Stickstoffs und ihre Beziehungen zum Eiweißstoffwechsel des Ahorns, in: Flora 139, 1952, 586–616
  • Stoffliche Beziehungen zwischen Wurzeln und Sproß, in: Angewandte Botanik 30, 1956, 125–128
  • The Metabolism of Urea and Ureides, in: Canadian Journal of Botany 39, 1961, 1785–1807
  • Der rauschgiftfreie Mohn Papaver bracteatum Halle III, in: Sitzungsberichte der Akademie der Wissenschaften der DDR 1975, 1975, 17–24
  • Über die Variabilität des Mutterkorns, in: Forschungen und Fortschritte, Nachrichtenblatt der deutschen Wissenschaft und Technik 28, 1954, S. 101–104
  • Zur Züchtung eines Arzneimohns (Papaver somniferum), in: Pharmazie 13, 1958, 357–360
  • Über d. Wirkungen des Kinetins auf Stickstoffverteilung u. Eiweißsynthese in isolierten Blättern, ebd. 147, 1959, 445–64
  • Die Biosynthese von Alkaloiden, I und II, in: Angewandte Chemie 75, 1963, 265–281, 357–374
  • Über Stoffwechselaktivität im Latex von Papaver somniferum L. 7, Mitteilungen zur Biochemie des Milchsaftes, in: Phytochemistry 3, 1964, 1–6

 

Herbert Posch

Zuletzt aktualisiert am 22.01.2024 - 23:36

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