Kritische Reflexion der bisherigen Ehrungen

12.2021–6.2023

2022/23 wurden auf Initiative der Senatsmitglieder Oliver Rathkolb und Ilse Reiter-Zatloukal von Archivar*innen und Zeithistoriker*innen des Universitätsarchivs und des „Forums Zeitgeschichte der Universität Wien“ im Auftrag des Senats und des Rektorats der Universität Wien und unter Einbindung aller 20 Fakultäten und Zentren die bisher verliehenen rd. 1.600 Ehrungen der Universität Wien einer kritischen Würdigung unterzogen. Bei Vorliegen allfälliger diskussionswürdiger oder problematischer Aspekte wurden einzelne Geehrte unter Anführung dieser Gründe der entsprechenden Kategorie zugeordnet und entsprechende biografische Einträge verfasst.

Die Dekan*innen und Zentrumleiter*innen sichteten, kommentierten und ergänzten mit den fachspezifischen historischen Expert*innen die Biografien und Listen. Die Bewertungen und biografischen Beiträge wurden bis auf wenige Ausnahmen von den Fakultäten und Zentren für den Endbericht an Rektorat und Senat konsensual freigegeben.

Bei einigen wenigen ambivalenten Biografien konnte kein Konsens über die Gewichtung der kritischen Aspekte und die Einordnung in eine der Kategorien hergestellt werden – hier wurden die kritischen Aspekte in die Biografien eingearbeitet, ohne diese allerdings vorerst einer der beiden Kategorien zuzuordnen.

Allgemeiner Rahmen

Die Ehrung von Personen durch die Universität Wien impliziert den Wunsch nach öffentlicher Würdigung einer Persönlichkeit sowie Herstellung einer Beziehung zwischen Geehrten und Universität. Bei der Ehrung lebender Personen werden diese auf Lebenszeit Teil der universitären Erinnerungskultur: Ehrungen haften als höchstpersönliche Rechte an den ausgezeichneten Personen und enden mit dem Tod. Die Errichtung von Denkmälern als dauerhafte Ehrung nach dem Tod kann erst frühestens 15 Jahre nach dem Ableben (Ausnahme: Denkmal „Nobelpreis und Universität“) erfolgen. Bezeichnungen von Räumlichkeiten (Hörsäle, Gebäudeteile, Höfe, Institute etc.) können seit 2007 sowohl in Erinnerung an Lebende wie an Verstorbene ohne der 15-jährigen Interkalarfrist vorgenommen werden und enden nicht mit dem Tod der Geehrten. Die Satzung der Universität übernahm 2004 auch die alte Regelung des Widerrufs von Ehrungen und Auszeichnungen, „wenn sich die oder der Geehrte durch ihr oder sein Verhalten als der Ehrung unwürdig erweist“ (§ 17).

So wie der Akt der Ehrung in einem konkreten historischen Kontext steht, unterliegt auch die Betrachtung späterer Generationen einem sich permanent verändernden gesellschaftlichen, politischen und historischen Blick. Die Universität Wien beschloss Ende 2021 eine kritische Untersuchung ihrer Ehrungen seit 1865 (500-Jahr-Jubiläum), wie es auch andere österreichische Universitäten in den letzten Jahren bereits unternommen haben oder gleichzeitig unternehmen (z. B. Universität Salzburg 2014/15, Universität Innsbruck 2019, Wirtschaftsuniversität Wien 2023), wobei auch die Ehrungen der Medizinischen Fakultät bis 2004 im Rahmen der Universität Wien (heute: Medizinische Universität Wien) inkludiert sind. Unter Einbeziehung neu zugänglicher Archivalien sowie Forschungsergebnisse wurde eine Grundlage für eine differenziertere Positionierung der heutigen Universität zu ihren bisherigen Ehrungen erarbeitet.

Die Universität Wien entschied sich bereits im Vorfeld zu den Grundsätzen „Transparenz – Kommentierung – Sichtbarmachung“ statt „symbolische posthume Aberkennung“.

Eine Sichtbarmachung der Geehrten mit ihren Meriten und allfälligen Problematiken sowie der Position der heutigen Universität erfolgte nach Vorlage des Endberichtes „Problematische und diskussionswürdige Ehrungen der Universität Wien“ am 27. April 2023 und der Annahme des Berichtes im Senat am 22. Juni 2023 auf dieser Website, der offiziellen Geschichtsdarstellung der Universität Wien. Am 24. Oktober 2023 wurden die Ergebnisse im Rahmen eines Pressegesprächs einer breiteren Öffentlichkeit präsentiert.

Gesamtumfang

Unter den 1.577 personenbezogenen Ehrungen, die im 19./20./21. Jahrhundert bisher verleihen wurden, werden 28 Personen (33 Ehrungen) aus heutiger Perspektive als problematisch und 39 Personen (56 Ehrungen) als diskussionswürdig gesehen.

Die häufigste Einzelehrungsform war in diesem Zeitraum das Ehrendoktorat (374 Verleihungen) und das Ehrenzeichen (216 Verleihungen), gefolgt von der Errichtung von Einzeldenkmälern im Arkadenhof (160). In Gruppen zusammengefasste Ehrungsformen, wie jene der Fakultäts-Ehrentafeln (188 Ehrungen zwischen 1893 und 1981/82) wurden in den letzten beiden Jahrzehnten mit der Aufarbeitung und Ehrung der im Austrofaschismus und/oder Nationalsozialismus vertriebenen Universitätsangehörigen ergänzt (Denkmal Vertriebene Kunsthistoriker*innen 2008 mit 72 Namen, Denkmal Vertriebene Geschichte-Studierende und -Lehrende 2022 mit 120 Namen). Zur Häufigkeit der verschiedenen Ehrungsformen und ihrer Verteilung nach Fakultäten/Zentren s. nebenstehende Grafik 1.

Problematische Ehrungen

Als „problematisch“ wurde bei der kritischen Überprüfung der Ehrungspraxis folgende Definition zugrunde gelegt:

Als problematisch werden Ehrungen von Personen bezeichnet, die in der Öffentlichkeit durch antisemitische, rassistische, faschistische Äußerungen bzw. Handlungen hervorgetreten sind bzw. Vorurteile in Richtung gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit geäußert haben.

Es wurden 28 Personen, die insgesamt 33 Ehrungen erhalten haben, als „problematisch“ eingestuft (durch drei Doppelehrungen und eine Drei­fachehrung differiert die Zahl der Geehrten von jener der Ehrungen).

Diese verteilen sich auf neun Fakultäten der Universität Wien, wobei 5 Geehrte bzw. 7 Ehrungen auf die seinerzeitige Medizinische Fakultät/heutige Medizinische Universität Wien entfallen (s. Grafik 2).

Diskussionswürdige Ehrungen

Als „diskussionswürdig “ wurde bei der kritischen Überprüfung der Ehrungspraxis folgende Definition zugrunde gelegt:

Als diskussionswürdig werden Ehrungen von Personen bezeichnet, die eher formal Ideologien oder Funktionär*innen unterstützt haben, die durch antisemitische, rassistische, faschistische Inhalte hervorgetreten sind bzw. Vorurteile in Richtung gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit geäußert haben.“

Es wurden 39 Personen, die insgesamt 56 Ehrungen erhalten haben, als „diskussionswürdig“ eingestuft (durch sieben Doppelehrungen zwei Drei­fachehrungen und zwei Vierfachehrungen differiert die Zahl der Geehrten von jener der Ehrungen).

Diese verteilen sich auf elf Fakultäten und Zentren der Universität Wien, wobei 10 Geehrte bzw. 15 Ehrungen auf die seinerzeitige Medizinische Fakultät/heutige Medizinische Universität Wien entfallen (s. Grafik 3).

Ausblick

Rezente und juristisch unabgeschlossene strittige Fälle von „Würdigkeit“ einer Ehrung bzw. eine*s Geehrten wegen Korruptionsvorwürfen bzw. Verstößen gegen die Regeln guter wissenschaftlicher Praxis konnten mit den Methoden und der Quellenbasis zeithistorischer Forschung nicht zuverlässig und abschließend eingeschätzt werden (Datenschutz, offene Anklage- oder Gerichtsverfahren, Unschuldsvermutung) und bleiben einer späteren Behandlung vorbehalten.

In einer Fakultät konnten die Ehrungen während der Projektlaufzeit nicht abschließend bearbeitet werden, hierdurch ist die Möglichkeit nicht auszuschließen, dass sich die Zahl der „diskussionswürdigen“ und „problematischen“ Fälle gesamtuniversitär noch erhöhen könnte. Auch an der Medizinischen Universität Wien werden die in enger Abstimmung und Kooperation bearbeiteten Ehrungen und Geehrten noch weiterer kritischer Reflexion unterzogen und es könnten vereinzelt noch Namen in den beiden Kategorien hinzukommen. Generell kann bei einer Universität dieser Größe ein Aufarbeitungsprozess notwendigerweise nur ein „work in progress“ sein, der auch noch in Zukunft zu neuen Erkenntnissen und Schlussfolgerungen führen wird, sei es retrospektiv auf die bisherige Ehrungspraxis, oder prospektiv im Hinblick auf Erkenntnisse für die gegenwärtige und zukünftige Ehrungspraxis.

Druckversion