Über „Fossen“ und „Partekenfresser“

Studenten als Feindbild in Mittelalter und Früher Neuzeit
15. Jhdt.–16. Jhdt.

Glaubt man den zeitgenössischen Klagen über das zuchtlose Treiben Studierender im 15. und 16. Jahrhundert, dann bestand deren bevorzugte Beschäftigung aus Lärmen und nächtlichem Herumtreiben, Abhalten von Saufgelagen, gewalttätigen Auseinandersetzungen mit Stadtbewohnern, Besuch von „Frauenhäusern“ (zeitgenössische Bezeichnung für Bordelle), Würfeln, Schachspielen und anderem verbotenen Zeitvertreib. Das alles in aufreizender, modischer Kleidung, die den herrschenden Vorschriften widersprach. In den Quellen findet man auch die Schimpfwörter, die solch unerwünschten Zeitgenossen zugedacht waren: „Fosse“ (Taugenichts, Lump, Herumtreiber) oder, noch spezifischer, „Partekenfresser“ (als Parteke wurde das Stück Brot bezeichnet, das armen Scholaren als Almosen gereicht wurde).
Diese Stereotype waren nicht nur für Wien, sondern für den gesamten europäischen Universitätsraum geläufig. Sie entwarfen ein Zerrbild, das nicht der ganzen historischen Wahrheit entsprach, jedoch durchaus einen realen Hintergrund besaß.

Auch in den Aufzeichnungen der Wiener Universität, die von deren Amtsträgern (Rektoren, Dekane) geführt wurden, finden sich immer wieder Berichte über studentische „Exzesse“ – Raufhändel, Krawalle, Verstöße gegen die Kleiderordnung, Tragen von Waffen und ähnliches mehr. Dass das Zusammenleben von Angehörigen einer privilegierten Rechtsgemeinschaft, der, wie alle übrigen Mitglieder der Universität, auch die Studenten zugerechnet wurden, mit anderen Stadtbewohnern zu gewalttätigen Konflikten führen könnte, wurde bereits bei der Universitätsgründung 1365 berücksichtigt. Die Erfahrungen aus anderen Universitätsorten haben hier sicherlich eine Rolle gespielt. In der Gründungsurkunde wurden Strafen für Mord und Körperverletzung an Universitätsangehörigen je nach Schwere des Vergehens festgelegt, aber auch die Frage geregelt, wer für diese selbst der zuständige Richter wäre: nämlich der Rektor der Universität. Magister oder Scholaren, die eine Bürgersfrau verführten, sollten aller universitären Privilegien verlustig gehen. Diese Strafe – der Ausschluss aus der Universität – war in der Folge eine nicht selten anzutreffende Maßnahme, die nicht nur bei verbotenem Umgang mit Frauen verhängt wurde. Die Betroffenen, häufig aus der Ferne zum Studium angereist, verloren damit den Schutz der Universität und waren der städtischen Obrigkeit ausgeliefert, die Ortsfremden meist nicht freundlich gesinnt war.

Eine abgeschlossene Männergesellschaft, wie sie die Universität jahrhundertlang darstellte, trug beinahe zwangsläufig Konflikte in die Stadt, die sich auch an der Begegnung mit dem anderen Geschlecht entzünden konnten. So war es wohl kein Zufall, dass der größte bekannte Wiener Studentenaufruhr, der „Lateinische Krieg“, 1513 vor einem „Frauenhaus“, also einem Bordell, seinen Anfang nahm. Streitgegner der Studenten waren Weinhauerknechte, mit denen es schon im vorangehenden Jahrhundert immer wieder gewalttätige Auseinandersetzungen gegeben hatte. Tote und schwer Verletzte waren bei solchen Vorkommnissen immer wieder zu beklagen. Wirtshäuser, Bäder und nächtliche Straßen sind in anderen Fällen als Austragungsorte belegt.

Auch mit anderen Stadtbewohnern gab es wiederholt gewaltsam ausgetragene Konflikte, so etwa mit Handwerkern. 1454 kam es zum Kampf mit Fleischergesellen, die mit Bogen, Schwertern und anderen Waffen gegen die Studenten kämpften. Bei anderer Gelegenheit waren es Burgsöldner oder Gefolgsleute des königlichen Hauptmanns in Österreich, Wolfgang von Wallsee. 1460 wurden Mitglieder aus dem Gefolge des päpstlichen Legaten Kardinal Bessarion, der sich zu dieser Zeit in Wien aufhielt, von Studenten angegriffen. Es ist nicht verwunderlich, dass solche Fälle auch politische und diplomatische Turbulenzen auslösten, welche die Amtsträger der Universität in arge Verlegenheit brachten, da ja sie es waren, deren Aufsicht und Gerichtsbarkeit die Studenten unterworfen waren.

In Fakultätsstatuten und Ordnungen der Bursen (Studentenhäuser) wurden Bekleidung, Lebensführung und Tageseinteilung der Scholaren penibel geregelt. Die im europäischen Vergleich hohen Studentenzahlen an der Wiener Universität im 15. und frühen 16. Jahrhundert hatten jedoch zur Folge, dass viele in privat geführten Unterkünften wohnen mussten, die nicht der Aufsicht der Universität unterstanden. Ständig war die Universität mit dem Vorwurf konfrontiert, dass sie nicht in der Lage wäre, die Einhaltung ihrer eigenen Vorschriften durchzusetzen. Tatsächlich sind Berichte über nächtliches Vagieren, Besuch von Gaststätten, Bädern und „Frauenhäusern“ in den universitären Quellen so geläufig, dass die öffentliche und unkontrollierte Präsenz von Studenten in der Stadt alltäglich gewesen sein muss.

Bei diesen Studenten handelt es sich meist um Scholaren der Artistenfakultät, die den größten Teil der Universitätsbesucher ausmachten. Sie waren in der Regel einige Jahre jünger als die Studierenden unserer Tage, oft erst zwischen 14 und 16 Jahre alt. Die wiederholten Zusammenstöße mit anderen, oft ebenfalls noch jugendlichen Stadtbewohnern lassen sich somit auch im Kontext einer spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Jugendkultur sehen, in der die gewaltsame Austragung von Konflikten zwischen rivalisierenden Gruppen Adoleszenter keine Seltenheit war.

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Thomas Maisel

Zuletzt aktualisiert am 05.03.2024 - 21:19