„Heiße Magister, heiße Doktor gar…“

Das Graduierungswesen im Mittelalter und Früher Neuzeit
15th Cent.–18th Cent.

„Heiße Magister, heiße Doktor gar…“ – mit diesen Worten lässt Heinrich Faust in Goethes Drama seinen universitären Werdegang Revue passieren. Trotz dieser Qualifikationen in sämtlichen damals gelehrten Disziplinen ist er mit dem so erworbenen Wissen nicht zufrieden. Auf der Suche nach weiterer Erkenntnis schließt er einen Pakt mit dem Teufel, der ihm in Gestalt eines fahrenden Scholaren (vielleicht eines Bakkalars?) erscheint. Als sein Diener will dieser ihm noch am selben Abend beim „Doktorschmaus“ aufwarten, bevor er ihn zu weniger geistigen Dingen verführt …

Goethe verweist in diesen Zitaten sowohl auf damals vergebene Grade als auch auf Elemente des Graduierungsvorganges. Welche Voraussetzungen waren nötig, um an den mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Universitäten graduiert zu werden und wie spielte sich die Graduierung ab?

Einer der wesentlichsten Unterschiede zwischen Universitäten und anderen Schulen war das Recht der Hochschulen zur Graduserteilung. Diese hatten prinzipiell an allen Universitäten des christlichen Europas Gültigkeit und befähigten ihre Inhaber zur Lehre an jeder beliebigen Hochschule; allerdings verlangten die meisten Universitäten von fremden Magistern und Doktoren eine Art Nostrifikation in Form einer Disputation vor der Fakultät, die als Repetition bezeichnet wurde.

Da der Erwerb eines Grades mit hohen Kosten verbunden war, war im Unterschied zu heute eine Graduierung in den meisten Fällen nicht das primäre Ziel der Studenten. Auch waren Grade für die Ausübung von Ämtern der kirchlichen, landesfürstlichen oder städtischen Verwaltung meist nicht erforderlich; der Nachweis der absolvierten Studienzeit war ausreichend. Dementsprechend waren während des Mittelalters und der Frühen Neuzeit die Graduierungsraten im Vergleich zu heute deutlich niedriger: An der Wiener Artistenfakultät betrug der Anteil der Bakkalare zwischen 1386 und 1550 rund ein Viertel aller Immatrikulierten, während die Magister nicht ganz 5 % ausmachten. Dies änderte sich erst im Lauf der Neuzeit.

Vom Bakkalar bis zum Doktor

Die von den Universitäten vergebenen Grade waren Bakkalaureat, Lizenziat, Magisterium und Doktorat. Für die Zulassung mussten die Kandidaten die für den jeweiligen Studiengang vorgeschriebenen Vorlesungen und Disputationen absolvieren. Neben den fachlichen Voraussetzungen wurde auch überprüft, ob die Kandidaten während ihrer Studienzeit gegen universitäre Disziplinarvorschriften verstoßen hatten. In den Fakultätsakten finden sich immer wieder Einträge, dass Studenten wegen schlechten Betragens, Verstößen gegen die Kleiderordnung oder des Besuchs von Wirtshäusern und sonstiger „verrufener“ Orte nicht zu den abschließenden Prüfungen zugelassen wurden. An den höheren Fakultäten mussten sie vor der Zulassung ein bestimmtes Mindestalter erreicht haben.

Der niedrigste vergebene Grad war das Bakkalaureat, das schon nach einer relativ kurzen Studiendauer erlangt werden konnte. An der Wiener Artistenfakultät wurden Studenten nach zwei Jahren zu den abschließenden Prüfungen zugelassen. Bakkalare, die nach ihrer Graduierung zu weiterführenden Studien an der Universität blieben, wurden verpflichtet, bereits selbst Lehrveranstaltungen wie Wiederholungsübungen (repetitiones) oder Diktierstunden (pronunciationes) zu halten. Diese Auflage wurde allerdings oft missachtet.

Der nächst höhere Grad war das Lizenziat, mit dem die Kandidaten ihre fachliche Eignung für die Lehre unter Beweis stellten. Auch hier waren die Anforderungen bezüglich der besuchten Lehrveranstaltungen nach Universität bzw. Fakultät unterschiedlich. Vor allem Absolventen, die eine Karriere als Universitätslehrer anstrebten, erwarben im Anschluss an das Lizenziat noch das Magisterium oder Doktorat. Für diese Grade mussten sie keine weiteren Vorlesungen mehr absolvieren. Anderes als heute waren die beiden Grade gleichwertig, in der Regel war der höchste an der Artistenfakultät vergebene Grad das Magisterium, während das Doktorat den höheren Fakultäten vorbehalten war. Allerdings ist die zeitgenössische Terminologie diesbezüglich nicht immer einheitlich.

Zulassung und Absolvierung der Prüfungen

Das Grundschema des Graduierungsprozesses war an allen Fakultäten gleich. Die Kandidaten suchten bei der Fakultät um die Zulassung zu den abschließenden Prüfungen an. Diese prüfte, ob die Anwärter, die ehelich geboren sein mussten, alle vorgeschriebenen Lehrveranstaltungen absolviert hatten und in disziplinärer Hinsicht den Bestimmungen entsprochen hatten. Vielfach wählte sich der Kandidat für das Ansuchen um die Zulassung einen Fürsprecher aus den Fakultätsmitgliedern, der ihm auch in weiterer Folge zur Seite stand. Dieser Fürsprecher wurde als Promotor bezeichnet.

Anwärter auf das Lizenziat wurden vor der endgültigen Zulassung noch dem Universitätskanzler präsentiert. Der Kanzler, der der Vertreter der Kirche in der Universität war, prüfte die Unbedenklichkeit des Kandidaten in religiöser Hinsicht. Mit der Zulassung wurden auch die ersten Taxen fällig.

Im Anschluss daran teilte die Fakultät die Kandidaten zu den Prüfungsterminen ein. Während die Prüfungen für das Bakkalaureat viermal pro Jahr stattfanden, gab es für das Lizenziat nur einen Termin am Beginn des Studienjahres. Die Reihung erfolgte weniger nach den Studienleistungen als nach Alter, Stand und Studiendauer der Prüflinge.

An der Artistenfakultät wurde die Prüfung durch vier von der Fakultät bestimmte Examinatoren vorgenommen, während an den höheren Fakultäten  sämtliche Doktoren, die Mitglieder der Fakultät waren, berechtigt waren, Fragen an die Prüflinge zu stellen. An diese Prüfung schloss sich eine Disputation zu einem vorgegebenen Thema an.

Zeremoniell der Graduierung

Mit der positiven Absolvierung der Prüfung und der Disputation war der „fachliche“ Teil des Graduierungsprozesses vollzogen, an den sich die rituelle Einsetzung in den neuen Rang anschloss. In Anschluss an die Prüfung bewirtete der Kandidat die Prüfer und verteilte Geschenke an sie – meist in Form von Handschuhen. Außerdem war erneut eine Taxe für die Prüfung zu begleichen.

In weiterer Folge präsentierte sich der Neugraduierte gewissermaßen der Öffentlichkeit: In einer öffentlichen Prozession zog er in Begleitung von Freunden bzw. Verwandten zu dem Ort, an dem die ebenfalls öffentliche Rangverleihung stattfand. Diese fand im Mittelalter vielfach in einer Kirche – in Wien im Stephansdom – statt, später wurde das Universitätshaus zum Schauplatz dieser Zeremonie.

Während das Zeremoniell für die Bakkalarsgraduierung relativ bescheiden ausfiel, war die Investitur von Magistern und Doktoren ein feierliches Schauspiel, an dem unter Glockengeläute und Musik neben den Universitätsangehörigen auch Vertreter der Stadt und des Hofes teilnahmen. Nach der Prozession zum Dom eröffnete der Universitätskanzler den Verleihungsakt und lud den Kandidaten ein, vor der Versammlung zu sprechen. Dieser ersuchte daraufhin um die Graduierung. Die Antwort der Fakultät erfolgte durch den Promotor. Durch die Übergabe der Doktoralinsignien Buch, Doktorring und –hut und der Ablegung des Eides auf die Universitätsstatuten wurde der neu kreierte Doktor (oder Magister) in seinen Rang eingeführt. Danach hielt er einen Fachvortrag, um anzuzeigen, dass er künftig von seiner Lehrbefugnis Gebrauch zu machen gedenke. Nachdem er wiederum in feierlicher Prozession nach Hause geleitet wurde, lud er die Würdenträger der Universität zum „Doktorschmaus“ ein. Mit der Überbringung des Doktordiploms durch den Pedellen (für das nochmals Gebühren fällig wurden) war die Zeremonie der Graduierung abgeschlossen und der neue Absolvent konnte sich der Lehrtätigkeit widmen.

Ausblick

Dieses Grundschema des Graduierungsprozesses, das Zulassung, Prüfung und Disputation sowie die feierliche Investitur in den neuen Rang umfasste, blieb bis weit in die Neuzeit erhalten. Die Jesuiten führten eine besonders feierliche Form der Disputation bzw. Promotion ein, die Promotion sub auspiciis Imperatoris, die in Anwesenheit des Herrschers oder eines von diesem nominierten Vertreters stattfand. Diese besonders feierlichen Form war prinzipiell den besten Studenten vorbehalten, bis zum 19. Jahrhundert kamen aber vor allem Adelige in den Genuss einer derartigen Promotion. Die „normale“, aber immer noch feierliche Promotion in der Kirche mit Eid auf die Universität und (ab der Mitte des 17. Jahrhunderts) auf den katholischen Glauben wurde gegen Ende des 18. Jahrhunderts in eine einfache Angelobung umgewandelt. Auch die abschließenden Disputationen wurden im Laufe des 18. und 19. Jahrhunderts abgeschafft und durch „strenge Prüfungen“ (Rigorosen) sowie an der Philosophischen Fakultät durch die zusätzliche Abfassung einer Dissertation ersetzt.

Die Zulassung von Frauen zum Studium bedingte natürlich auch ihre Zulassung zu den strengen Prüfungen und zur Promotion. Ab 1900 finden sich in den Promotionsprotokollen auch Frauen, anfangs noch mit dem Zusatz „Fräulein“ oder „Frau“ extra ausgewiesen.

Während in der Lehre die lateinische Sprache seit Ende des 18. Jahrhunderts zunehmend zugunsten der Landessprache aufgegeben wurde, blieb sie beim Festakt der Promotion bis ins 21. Jahrhundert in Verwendung. Sowohl die Rede des Promotors als auch der Eid der Promovend*innen und die Danksagung für die Promotion erfolgen in Latein. Die Eiskunstläuferin Eva Pawlik war die erste Frau, die bei ihrer Promotion am 22. Dezember 1954 diese Danksagung aussprach.

Während das Doktorat durchgehend erhalten blieb, kam es gegen Ende des 18. Jahrhunderts zur Abschaffung des Bakkalaureats, das erst im 21. Jahrhundert im Zuge der europaweiten Harmonisierung des Studienwesens wiedereingeführt wurde – nun unter der englischen Bezeichnung Bachelor.

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