Vom ABGB zum modernen Rechtsstaat
„Jeder Mensch hat angeborene, schon durch die Vernunft einleuchtende Rechte, und ist daher als eine Person zu betrachten. Sclaverey oder Leibeigenschaft, und die Ausübung einer darauf sich beziehenden Macht wird in diesen Ländern nicht gestattet.“
Die von Zeiller stammende Fassung des § 16 des Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuches.
Im Zeitalter der Aufklärung entwickelte sich eine neue Rechtsauffassung, die jedem Bürger gleiche Rechte zuerkannte. Aufbauend auf dem Entwurf Franz Anton von Martinis stellte Franz von Zeiller 1811 das Allgemeine Bürgerliche Gesetzbuch (ABGB) fertig. Es bestimmt – in veränderter Form – bis heute das österreichische Zivilrecht und ist eines der ältesten noch gültigen Gesetzbücher Europas.
Karl Anton von Martini, Rechtswissenschafter
Martini (1726–1800) lehrte zur Zeit der Aufklärung als Rechtswissenschafter an der Universität Wien. Sein Vernunftrecht prägte die Reformen von Joseph II.
Karl Anton von Martini wurde in der Nähe von Trient im heutigen Südtirol geboren. Er studierte ab 1741 Jus in Innsbruck und ab 1747 in Wien. Ab 1754 unterrichtete er an der Universität Wien Römisches Recht und Naturrecht und schrieb juristische Lehrbücher, die europaweit verwendet wurden. Zu seinen Schülern zählten die Aufklärer Josef von Sonnenfels (1732–1817) und Franz von Zeiller. Er unterrichtete auch von 1761 bis 1765 Erzherzog Leopold, der als Großherzog der Toskana (und späterer Kaiser Leopold II.) zu einem der aufgeklärtesten Fürsten Europas wurde. 1782 wurde Martini von Kaiser Joseph II. zum Staatsrat ernannt und unterstützte den Kaiser bei seinen Justizreformen. Kurz vor seinem Tod verfasste er noch eines der modernsten Kodifikationen der Zeit, das Bürgerliche Gesetzbuch für Galizien (1797), das als „Ur-Entwurf“ zur Grundlage des Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuches von 1811 wurde.
Franz von Zeiller, Rechtswissenschafter
Zeiller (1751–1828) war der maßgebliche Jurist in der Hofkommission, die das Allgemeine Bürgerliche Gesetzbuch verfasste. Zeiller war auch Rektor der Universität Wien.
Zeiller wurde in Graz geboren, wo er auch sein Studium der Rechtswissenschaften begann. 1778 erwarb er sein Doktorat an der Universität Wien, wo er zum Schüler Franz Anton von Martinis wurde. Ab dieser Zeit unterrichtete Zeiller Jus an der Universität Wien. Er verfasste den 1. Teil des Strafgesetzbuches von 1803, ein für damalige Verhältnisse höchst modernes Gesetzbuch. Im selben Jahr wurde er auch zum Rektor der Universität Wien ernannt und blieb dies bis 1807.
Seit 1801 fungierte er als Redaktor der Hofkommission für die Fertigstellung des Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuchs (ABGB). Das ABGB wurde 1811 vollendet und bildet bis heute die Grundlage des österreichischen Zivilrechts.
1811
Das Allgemeine Bürgerliche Gesetzbuch (ABGB) wurde unter maßgeblicher Mitarbeit Franz von Zeillers im ersten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts erarbeitet. Ausgangspunkt für diese Kodifikation war der 1797 fertiggestellte „Entwurf Martini“. Franz von Zeiller war Schüler und Lehrstuhlnachfolger von Franz Anton von Martini und stand wie dieser in der Tradition des Vernunftrechts des 18. Jahrhunderts. Nach Martini wird uns das Recht durch vernünftige Einsicht gegeben. Martini wurde aber auch durch den französischen Rechtsphilosophen Charles-Louis de Montesquieu (1689–1755) beeinflusst, der die Bedeutung der spezifischen geographischen und historischen Umstände und der lokalen Bedingungen bei der Rechtsentwicklung hervorhob.
Martini hatte auch einen Katalog von Grundrechten erarbeitet, der in einer deutlich reduzierten Form in dem von Franz von Zeiller formulierten § 16 mit seiner Anerkennung „angeborener, schon durch die Vernunft einleuchtender Rechte“ fortlebt. Franz von Zeillers ABGB erwies sich als sehr anpassungsfähig in den Wandlungen der Zeit und ist bis heute die Grundlage des Zivilrechts in Österreich.
Der Wert und die Wirkung ihres Werkes
Das 1812 in Kraft getretene Allgemeine Bürgerliche Gesetzbuch galt (mit zum Teil wechselndem Geltungsbereich) in großen Teilen der Donaumonarchie. Mit dem Code Civil in Frankreich (1804) bildet der Gesetzestext eine der ältesten noch gültigen Zivilrechtskodifikationen. Die französischen und österreichischen Zivilgesetzbücher veränderten die europäische Rechtskultur und brachten die Aufklärungsidee der Anerkennung unveräußerbarer Rechte jedes Menschen zum Ausdruck; diese bestimmt in Form der Grundrechte bis heute unsere Rechtsauffassung.
Bis ins 20. Jahrhundert war das Allgemeine Bürgerliche Gesetzesbuch von Franz von Zeiller in verschiedenen mitteleuropäischen Ländern gültig, so in der Tschechoslowakei und in Teilen Polens bis kurz nach dem Zweiten Weltkrieg. In Liechtenstein gilt es (allerdings zu einem erheblichen Teil verändert) noch heute. In Österreich ist das Gesetzesbuch nach wie vor in Kraft. Es wurde aber in Teilbereichen novelliert und durch zahlreiche zusätzliche Gesetze ergänzt. Stärkere Änderungen des ABGB gab es ab 1914 mit den „Teilnovellen“ sowie in der Folge aufgrund sozialer Veränderungen. So finden sich heute große Teile des Mietrechts, des Arbeitsrechts und des Eherechts in Gesetzen außerhalb des ABGB. Seit den 1970er Jahren kamen dann laufend weitere Reformen hinzu, insbesondere im Familien- und im Personenrecht.
„Franz von Zeiller hat mit seinem an Naturrecht und Immanuel Kant geschulten juristischem Gespür ein mehr als 50 Jahre in Anspruch nehmendes Kodifikationsprojekt vollendet, welches sich – durch die ihm zu verdankende liberal angelegte, „offene“ Konzeption – mehr als 200 Jahre als Basis des österreichischen Privatrechts bewährt hat.“
Franz-Stefan Meissel, Professor für Römisches Recht und Privatrecht im Rechtsvergleich an der Universität Wien
Last edited: 05/12/17