„ Heimlich Schwangere“
Das „Tor der heimlich Schwangeren“ ist eines der „Tore der Erinnerung“ auf dem Campus der Universität Wien, der 1998 auf dem Areal des Alten Allgemeinen Krankenhauses (AAKH) errichtet wurde, und thematisiert eine historische und soziale Besonderheit aus der Zeit der Einrichtung des Allgemeinen Krankenhauses 1784. Es ist das einzige heute noch original erhaltene Außentor aus der Zeit der Eröffnung der Anlage im 18. Jahrhundert. Es ist auch das einzige Tor des Campus, durch das man nicht durchgehen kann, da auf der Außenseite heute bereits der Sicherheitsbereich der Österreichischen Nationalbank beginnt.
Honors
Ehrung | Titel | Datierung | Fakultät | |
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Gate of Remembrance | Tor der Heimlich Schwangeren | 1998/99 |
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Durch dieses Tor gingen zwischen 1784 und 1854 jährlich Hunderte ledige Frauen, die im Gebärhaus anonym und relativ sicher entbinden konnten, ohne gesellschaftlich stigmatisiert zu werden. Diese „heimlich Schwangeren“ bildeten zwar nur einen kleinen Teil unter den Hunderttausenden Frauen, die hier Kinder zur Welt brachten, sie waren aber eine Besonderheit des Gebärhauses im AKH.
Schutz und Anonymität
Das „Tor der heimlich Schwangeren“ war ein unscheinbarer Eingang, nur durch die enge Rothenhausgasse bzw. die Neue Gasse (später: Thavonatgasse, heute nicht mehr existent) erreichbar, flankiert von Friedhofsmauer,[V1] Infanteriekaserne (heute: Nationalbank) und Spital. Das Tor war stets verschlossen, wurde aber rund um die Uhr von einem eigens angestellten Portier betreut, der nur öffnete, wenn sich eine Schwangere am Glockenzug bemerkbar machte und Einlass verlangte. So konnten Frauen nach Bezahlung einer bestimmten Gebühr die Anstalt anonym betreten, sicher gebären und das Haus wieder verlassen, mit oder ohne Kind. Ihre Namen wurden nicht verzeichnet. Für weniger privilegierte Frauen war ein anderer Eingang vorgesehen.
„Vater Staat“
Säuglings- und Kinderfürsorge wurden erstmals als zentrale Aufgabe des Staates definiert. Dies sollte einerseits das Bevölkerungswachstum steigern, zeugte andererseits aber auch von einem neuen und rationaleren Umgang mit unehelichen Geburten und Kindsmord – ledige Mütter wurden von Kirche und Gesellschaft stark stigmatisiert und ausgegrenzt, was zu heimlichen Schwangerschaftsabbrüchen mit hohen Risiken für Gesundheit und Leben der Schwangeren bzw. zu Kindsweglegungen und Kindsmord führte. Hier bot das neue Angebot der Gebärklinik eine Alternative. Das staatliche Nützlichkeitsdenken dahinter: Jedes überlebende Kind war eine künftige Arbeitskraft, SteuerzahlerIn oder Soldat. Das Nützlichkeitsdenken reichte aber auch bis zum toten Säugling: Kinderleichen wurden der Prosektur zur Verfügung gestellt und dienten der Aus- und Fortbildung der am AKH arbeitenden Ärzte und Medizinstudenten (damals ausschließlich Männer).
Erst 1899 wurde die Zahlabteilung des Gebärhauses im AKH – und damit die erkaufbare Anonymität – definitiv aufgelassen.
Gebärklinik des AKH
Im damals östlichsten Trakt (heute Hof 7) wurde bei der AKH-Gründung auch eine eigene Gebärabteilung eingerichtet. Als Wiener Gebärhaus hatte sie – bis 1904 – eine wechselvolle und zum Teil vom Krankenhaus ganz unabhängige Geschichte.
Geburten fanden damals größtenteils als Hausgeburten mit Hebammen statt. Das Gebärhaus bot, wie in einer „Nachricht an das Publikum“ 1784 verlautbart wurde, vor allem für ledige werdende Mütter einen „Zufluchtsort“ an, um sie „vor der Schand und Noth“ zu retten. Sie konnten hier für die Entbindung und das Wochenbett diskrete Aufnahme finden.
Trotz gewahrter Anonymität, die vor der „Schande“ der unehelichen Mutterschaft schützen sollte, bedeutete die Aufnahme für die meisten Frauen auch die Preisgabe des weiblichen Körpers durch das teils öffentliche Gebären vor männlichen Ärzten und Studenten für die akademische Lehre und Forschung, denn die Gratisklasse war zugleich Klinik der Medizinischen Fakultät der Wiener Universität. Nur zahlende Frauen konnten sich dem entziehen. Alle anderen mussten als Gegenleistung für die Aufnahme ihrer Kinder im Findelhaus dem medizinischen Unterricht zur Verfügung stehen.
In drei Klassen gestaffelt konnten zahlungskräftige Frauen hingegen bei absoluter Anonymität „verschleyert, und überhaupt so unkennbar als sie immer wollen“, durch das sogenannte „Schwangerthor“ anonym in das Gebärhaus gelangen und auch eigene Dienerinnen mitbringen.
Fast 700.000 Frauen nutzten im Laufe der Geschichte den Schutz des Gebärhauses. Die Säuglinge konnten mitgenommen oder aber – was in den allermeisten Fällen geschah – im angeschlossenen Findelhaus abgegeben werden. Sie wurden dann sofort zu Pflegeeltern „in Kost“ gegeben.
Mitte des 19. Jahrhunderts lag die Illegitimitätsrate, der Anteil außerehelich geborener Kinder an allen Geburten, in Wien bei fast fünfzig Prozent, mehr als ein Drittel aller in Wien geborenen Kinder wurden damals im Findelhaus abgegeben. Die Geburtsmatriken der Pfarre Alser Vorstadt, in der all jene Kinder, die zwischen 1784 und 1904 im Gebärhaus geboren wurden, verzeichnet wurden, sind deshalb die umfangreichsten Europas.
Doppelbenennung
Das Tor wurde 1998 neben der Benennung nach seiner historisch-sozialen Besonderheit auch noch nach dem berühmten Radiologen Guido Holzknecht "Holzknecht-Tor" benannt und so in den Campus-Plänen und -Publikationen ausgewiesen.
Zuletzt aktualisiert am 11/12/24