Üble Behandlung in Worten und Werken

Judenfeindschaft an der Universität Wien in der Frühen Neuzeit
16. Jhdt.–18. Jhdt.

„In den Hauptstädten wären die Vermöglichern auch nicht von höheren Schulen und dort, wo Universitäten sind, von keinem studio (die Theologie ausgenommen) auszuschließen.“

Mit diesen dürren Worten öffnete der „aufgeklärte Despot“ Kaiser Joseph II. in einem Schreiben vom 13. Mai 1781 an den österreichischen Kanzler Heinrich Graf von Blümegen wohlhabenden Juden die Tore der Universitäten – auch in Wien. Jüdische Studenten nahmen wohl unmittelbar nach 1781 ein Universitätsstudium auf: Bei den Chirurgen wurde der erste als „Hebraeus“ bezeichnete Kandidat bereits am 1. Juni 1782 approbiert, die erste Promotion eines Mediziners fand am 26. Mai 1789 statt. Dagegen sollten bis zur Aufnahme jüdischer Professoren an der Wiener Universität noch Jahrzehnte vergehen. Einer der ersten war Jakob Goldenthal (1815–1868), seit 1849 außerordentlicher Professor für orientalische Sprachen und Literaturen.

Höhere Bildung und religiöse Studien

Anders als im Zeitalter der Aufklärung ab der Mitte des 18. Jahrhunderts, in dem sich immer mehr Juden an den Lebensstil der Mehrheitsgesellschaft anpassten, bildeten Universität und jüdische Einwohnerschaft in den vorangegangenen Jahrhunderten nicht nur in Wien zwei völlig getrennte Welten. Dies lag an der engen Verflechtung von Bildung und Religion. Mittelalterliche Universitäten waren vom Papst bestätigt worden, die Theologie spielte eine entscheidende Rolle und entsprechend groß war der Einfluss von Geistlichen. Der Universitätskanzler beaufsichtigte als Vertreter des Bischofs die Prüfungen und die Erteilung der Lehrbefugnis; seit 1623 dominierten die Jesuiten die Theologische und die Philosophische Fakultät.

Im Judentum war die Erziehung der Knaben durch Hauslehrer oder in einer Gemeindeschule („Cheder“) fast vollständig auf religiöse Bildung ausgerichtet. Im Anschluss an ihre Schulzeit erwarben junge jüdische Männer praktische Kenntnisse für ihre Berufstätigkeit, etwa im Handel, innerhalb der Familie – vom Vater oder Schwiegervater. Die Begabteren führten ihre Ausbildung auf einer Talmudhochschule („Jeschiwa“) fort, wo sie jüdisches Recht und dessen Auslegung studierten (Talmud, rabbinische Literatur). „Profanwissenschaften“ spielten in diesem Bildungssystem kaum eine Rolle. Kurz: Mit Ausnahme der medizinischen Fakultäten, an denen anders als in Wien seit dem 16. Jahrhundert an einigen Hochschulen in Italien, später in den Niederlanden und im deutschsprachigen Raum auch angehende jüdische Ärzte studieren durften, waren Universitäten für Juden völlig uninteressant und dort vermittelte Lehrinhalte unbrauchbar.

Jüdische Konvertiten an der Universität Wien

Die Grenzen zwischen jüdischer und christlicher Bildungswelt überschritten einzelne Konvertiten. Seit dem 15. Jahrhundert bekleideten ehemalige Juden teils führende Positionen an der Wiener Universität. Hierzu zählten etwa der Theologe Paul (Leubmann) von Melk sowie die beiden Lehrer für hebräische Sprache Antonius Margaritha (ca. 1492–1542) und Paulus Weidner von Billerburg. Letztere publizierten auch judenkritische Schriften, Weidner führte außerdem im Auftrag Ferdinands I. Zwangspredigten vor der Prager jüdischen Gemeinde durch, um diese zu bekehren. Joseph von Sonnenfels, einer der bekanntesten in Wien tätigen Konvertiten, wirkte bereits in einer Zeit, als sich die Universität auf kaiserlichen Befehl jüdischen Studenten öffnen musste.

Universitäre Judenfeindlichkeit in Wort und Tat

Dass die Universität als ursprünglich kirchliche Einrichtung Juden generell nicht wohlwollend gegenüberstand, ist nicht erstaunlich. Situationsbedingt schwankte man zwischen nicht vollständiger Verdammung des Judentums und dezidiert judenfeindlichen Positionen. Im großen, Anfang des 16. Jahrhunderts öffentlich ausgetragenen Streit um die Verbrennung des Talmuds schlugen sich die Wiener Theologen auf die judenfreundliche Seite. 1673 anerkannte die Theologische Fakultät das grundsätzliche Existenzrecht von Juden und betonte, dass es kirchenrechtlich erlaubt sei, Juden zu tolerieren. Dem stehen freilich antijüdische Aussagen gegenüber: 1419 beschuldigte die Theologische Fakultät die Wiener Juden der Konspiration mit den Hussiten, womit der geistige Boden zur Vertreibung und Ermordung der jüdischen Bevölkerung Wiens 1420/21 (Wiener Geserah) gelegt wurde. Zweieinhalb Jahrhunderte später feierten die Jesuiten in einem an die Studenten verteilten Gedicht die neuerliche Ausweisung aller Jüdinnen und Juden aus Wien im Jahr 1670 „geradezu als Werk der Heiligkeit“. Neben diesen verbalen Angriffen waren Juden in Wien – ebenso wie in anderen Universitätsstädten – immer wieder Gewalttaten von Studenten ausgesetzt, die sie „sehr übel mit wortten und straichen tractiret“. In der chronikalischen Publikation „Theatrum Europaeum“ war unter dem 28. April 1669 zu lesen, dass während des Einzugs des türkischen Gesandten ein großer Tumult entstanden sei, „indem ein Student einem Juden eine Maulschellen gegeben“. Der Student wurde zunächst verhaftet, nach gewaltsamen Protesten seiner Kommilitonen und des Einsatzes des Rektors Paul de Sorbait wieder entlassen. Damit hatte sich die Lage aber noch nicht beruhigt. Vielmehr rotteten sich die Studenten am folgenden Tag neuerlich zusammen und warfen einen Juden in die Donau. Um weitere Eskalationen zu verhindern und die Studenten zum Abzug zu bewegen, musste der Stadtobrist 200 Mann zu Ross aufbieten und Schießbefehl erteilen.

Dank der Sondergerichtsbarkeit der Universität finden sich im Universitätsarchiv einige Aktenbestände von Verfahren wegen gewaltsamer Übergriffe von Studenten auf Wiener Juden. Wie Juden gezielt provoziert wurden, belegt ein Fall aus dem Jahr 1641: Eine Gruppe Studenten forderte in der Judenstadt Passanten auf, den auf einem mitgebrachten Zettel in hebräischen Buchstaben geschriebenen Satz „Jesus von Nazareth ist der König der Juden“ laut vorzulesen. Nach mehreren vergeblichen Versuchen gab ein älterer Jude den Zettel nicht mehr zurück. Im folgenden Streit wurde ein Student handgreiflich, worauf mehrere Jüdinnen und Juden ihrem Nachbarn zur Hilfe eilten und den Studenten schlugen. Am nächsten Tag versuchten drei Studenten vergeblich die Namen ihrer Gegner zu erfragen. Frustriert stieß schließlich ein Student einen Juden, der ihnen zufällig auf der Straße begegnete, mit seinem Degen nieder. 

Kein Ende des universitären Antisemitismus nach 1782

Das Toleranzpatent Josephs II. war zwar ein erster Schritt zur rechtlichen Gleichstellung der Juden, konnte aber ebenso wenig wie spätere Bestimmungen antisemitische Überzeugungen prominenter Professoren wie Theodor Billroth, Othenio Abel oder Wenzel Gleispach und Ausschreitungen verhindern. Auch unter den (korporierten) Studenten war Judenfeindschaft ein bestimmendes Element. Während der universitäre Antisemitismus des 19. und 20. Jahrhunderts bereits gut erforscht ist, steht eine systematische Darstellung dieses Themas für die Frühe Neuzeit noch aus. Prozessakten, die Stellungnahmen der verschiedenen Fakultäten zum Judentum und nicht zuletzt die Publikationen von Universitätslehrern könnten die Quellengrundlage bilden, die bisher nicht systematisch erforschte „Beziehungsgeschichte“ der Wiener Universität zur jüdischen Bevölkerung zu schreiben.
 

Quellen

Archiv der Universität Wien, Konsistorialakten, Parteisachen CA 3.1469 und 3.2949

Archiv der Universität Wien, Konsistorialakten, Judizialakten CA 6.2.90

Archiv der Universität Wien, Medizinische Fakultät, Rigorosenprotokoll der Chirurgen (Catalogus chirurgorum) MED 9.1, fol. 23v

Archiv der Universität Wien, Medizinische Fakultät, Rigorosenprotokoll der Mediziner MED 9.5, p. 2, 183