Leopold Schönbauer, o. Univ.-Prof. Dr. med.

13.11.1888 – 11.9.1963
geb. in Thaya, Österreich gest. in Wien, Österreich

Universitätsprofessor, Chirurg, Politiker und Verwaltungsbeamter, 1945-1961 Direktor des Wiener Allgemeinen Krankenhauses

Ehrungen

Ehrung Titel Datierung Fakultät
Denkmal Gedenktafel, Altes AKH 1981 Medizinische Fakultät

Die Ehrung wird 2023 aufgrund von Leopold Schönbauers Involvierung in den Nationalsozialismus als „problematisch“ eingestuft. Er wurde im Nationalsozialismus zum ordentlichen Professor ernannt, zum Vizedekan der Medizinischen Fakultät, zum Leiter der I. Chirurgische Universitätsklinik und zum Beiratsmitglied der Hauptabteilung E (Gesundheitspolitik und Volkspflege) der Gemeindeverwaltung in Wien. An seiner Abteilung wurden im AKH Patienten zwangssterilisiert, die nach der NS-Ideologie als „nicht erbgesund“ galten. Er war NSDAP-Mitglied, förderndes Mitglied der SS und Träger des „Silbernen Treuedienstabzeichens“ der NSDAP. Schönbauers Name findet sich auch auf der Teilnehmerliste einer Tagung in der Militärärztlichen Akademie in Berlin, zu der im Mai 1943 die Elite der NS-Ärzteschaft geladen war.
Eine Ausnahmebestimmung im §27 des NS-Verbotsgesetz vom Mai 1945 – inoffiziell hieß diese auch der „Schönbauer-Paragraf“ oder „Lex Schönbauer“ – ermöglichte, dass Nationalsozialist*innen vereinzelt aus den Registrierungsakten der Entnazifizierung gestrichen werden konnten, um sie so von Sühnemaßnahmen wie Berufsverboten zu befreien. Schönbauer wurde dank der Sonderregelung entnazifiziert und konnte Primar, Hochschulprofessor und AKH-Direktor bleiben bzw. Nationalrat werden.

Funktionen

Rektor Medizinische Fakultät 1953/54

Leopold Schönbauer (1888–1963) war ein österreichischer Chirurg, der im April 1945 auch als „Retter des Wiener AKH“ bekannt wurde. Der Mythos, dass Schönbauer durch seinen Einsatz die Zerstörung des Krankenhauses in den letzten Kriegstagen verhindert habe, begründete unter anderem nach 1945 seinen hervorragenden Ruf trotz seiner Verstrickung in das NS-Regime: Schönbauer war Mitglied der NSDAP und förderndes Mitglied der SS gewesen. Er unterstützte auch die nationalsozialistische Gesundheitspolitik, und unter seiner Verantwortung wurden in seiner Klinik Zwangssterilisationen durchgeführt. Dank seiner Einstufung als „unentbehrlich“ als Chirurg und seiner guten politischen Kontakte konnte er seine Karriere nach dem Krieg fortsetzen. Neuste Forschungen haben gezeigt, dass Schönbauer als akademischer und medizinischer „Herr Karl“ charakterisiert werden kann – ein österreichischer Opportunist, der alle politischen Systemwechsel des 20. Jahrhunderts unbeschadet überstanden hat. Die Biografie des Chirurgen und Krebsforschers, der in Österreich die Neurochirurgie begründet hatte und daran beteiligt war, dass erstmals Tumore radioaktiv bestrahlt wurden, ist vielschichtig und aus heutiger Perspektive an vielen Stellen widersprüchlich. Dennoch wurde sie in der Öffentlichkeit lange kaum infrage gestellt

Karriere vor 1938

Leopold Schönbauer wurde 1888 in Thaya im Norden Niederösterreichs geboren. Der Sohn einer Arztfamilie maturierte am Gymnasium in Prachatitz (heute: Prachatice in Tschechien) und studierte an der Karl-Ferdinands-Universität (der Deutschen Universität) in Prag Medizin. 1914 schloss er das Studium sub auspiciis imperatoris ab. Nach kurzem Kriegsdienst und einer Schussverletzung 1915 führte ihn sein Weg an das Allgemeine Krankenhaus (AKH) in Wien, wo er Schüler des renommierten Chirurgen Anton von Eiselsberg wurde. In diesem Umfeld habilitierte sich Schönbauer 1924 und erhielt 1933 den Titel eines außerordentlichen Professors ("tit. ao. Prof.").

Parallel zu seiner akademischen Karriere machte sich der Chirurg auch außerhalb der Universität einen Namen. Schönbauer arbeitete nach dem Ersten Weltkrieg auch mit Vertretern des „Roten Wien“ eng zusammen. 1930 machte ihn Wiens Bürgermeister Karl Seitz zum Leiter der chirurgischen Abteilung im städtischen Krankenhaus Lainz. Seitz war es angeblich auch, der Schönbauer den Rat gab, die Klinik als „politikfreien Raum“ zu führen. Schönbauer kooperierte auch mit Julius Tandler, dem sozialdemokratischen Wiener Stadtrat und Professor für Anatomie. In Lainz übernahm Schönbauer ein Jahr später das strahlentherapeutische Institut mit Fokus auf die Behandlung von Krebs – eine der ersten Behandlungsstätten dieser Art weltweit.

Nachdem Engelbert Dollfuß im März 1933 das Parlament ausgeschaltet hatte, behielt Schönbauer seine Führungsposition, während die der Stadt Wien unterstellte Einrichtung Lainz politisch „gesäubert“ wurde. Er bezeichnete sich nach 1945 als apolitisch und habe nur durch sein medizinisches Können überzeugt, was im Hinblick auf seine politischen Aktivitäten und Vernetzungen, die ihn alle politischen Umbrüche des 20. Jahrhunderts (1933, 1938, 1945) nahezu unbeschadet überstehen ließen, infrage zu stellen ist.

Ergänzungen zu einer österreichischen Biografie

Nach dem „Anschluss“ im März 1938 war es für Schönbauer von Vorteil, kein politisch exponierter Anhänger des Austrofaschismus gewesen zu sein. Er profitierte von der politisch motivierten Entlassung des Chirurgen Prof. Egon Ranzi, dessen Lehrstuhl er am 1. April 1939 erhielt.

Im Nationalsozialismus (NS) wurde Schönbauer zum ordentlichen Professor ernannt. Er war von 1939 bis 1945 Vizedekan der Medizinischen Fakultät, leitete die I. Chirurgische Universitätsklinik und saß im Beirat der Hauptabteilung E (Gesundheitspolitik und Volkspflege) der Gemeindeverwaltung in Wien.

Nicht ganz einfach zu deuten sind Schönbauers zahlreiche weitere Aktivitäten während der NS-Zeit. Konkrete politische Äußerungen von ihm sind nicht zu finden. Seine Beurteilung durch die NS-Behörden fiel aber positiv aus. Im Jänner 1939 hieß es über ihn: „Derzeit ist er ein begeisterter Nationalsozialist“, und man hielt ihm zugute, dass er seinem Cousin Ernst Schönbauer sowie einer Nichte in deren Zeit als „Illegale“ geholfen hatte. Darüber hinaus wurde vermerkt, dass er im Austrofaschismus zur Mitgliedschaft in der Vaterländischen Front (VF) gezwungen worden war und sein Sohn illegales HJ-Mitglied gewesen sei. Offensichtlich ist auch, dass er ohne dokumentierte NS-Loyalität 1939 wohl nicht zum Professor und Dekan-Stellvertreter aufgestiegen wäre. Bereits ab 1938 war Schönbauer förderndes Mitglied der SS, ab 1940 NSDAP-Mitglied mit der Nummer 8,121.441 und ab 1943 Träger des „Silbernen Treuedienstabzeichens“ für 25 Dienstjahre, eine Ehrung, die nur an ausgewählte Personen verliehen wurde.

In Schönbauers Verantwortungsbereich fielen auch die Zwangssterilisationen an seiner Klinik. Nach Inkrafttreten des „Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ in der „Ostmark“ am 1. Jänner 1940, begannen die ersten Zwangssterilisationen von eigens dazu ermächtigten Ärzten - in Wien an vier Standorten, darunter Schönbauers I. Chirurgische Universitätsklinik im AKH. Neben Schönbauer waren auch seine Assistenten Wolfram Sorgo und Paul Deuticke dazu berechtigt, Zwangssterilisationen unter anderem auch an männlichen Gefangenen der Justizverwaltung durchzuführen.
Deuticke nahm zwischen dem 2. Dezember 1941 und dem 18. August 1942 eine erhebliche Zahl von Sterilisationen vor. Ein Briefwechsel legt nahe, dass Schönbauer solche Operationen in wenigen Fällen abgelehnt habe, und zwar aus Kapazitätsgründen. Die tatsächlichen Hintergründe dieser Kontroverse sind nicht geklärt. Gesichert ist, dass Schönbauer ermahnt wurde und er als Klinikverantwortlicher schriftlich betonte, dass „Unfruchtbarmachungen, die von Seiten der Justizverwaltung Wien-Niederdonau beantragt wurden“, nicht abgelehnt würden. Welche Verantwortung Schönbauer im Zuge der staatlich verordneten Verstümmelung durch Sterilisation angeblich „Erbkranker“ trug, lässt sich nicht abschließend belegen. Unbestreitbar ist, dass er an der I. Universitätsklinik als deren Leiter dafür letztverantwortlich war.

Schönbauers Name findet sich auch auf der Teilnehmerliste einer Tagung in der Militärärztlichen Akademie in Berlin, zu der die Elite der NS-Ärzteschaft vom 24. bis 26. Mai 1943 eingeladen war. Ausgewählte Wehrmachtsärzte berichteten von Forschungen am Menschen. Karl Gebhardt, Chirurg und Leiter von medizinischen Versuchen im nationalsozialistischen Frauen-Konzentrationslager Ravensbrück, sowie Fritz Fischer präsentierten ihre Ergebnisse unter dem Titel „Besondere Versuche über Sulfonamidwirkung“. Bei diesen Versuchen wurden KZ-Häftlingen absichtlich schwere Verletzungen zugeführt, um sie anschließend mit Antibiotika zu behandeln. Ob Leopold Schönbauer an der Tagung auch tatsächlich teilnahm, ist bis jetzt nicht endgültig belegt. Dass die auf der Tagung präsentierten Forschungen brisant waren, zeigte sich spätestens im Nürnberger Ärzteprozess 1946: Gebhardt wurde wegen verbrecherischer chirurgischer Eingriffe und Verbrechen gegen die Menschlichkeit zum Tode verurteilt und 1948 gehängt.

Schönbauers Konformität im NS-Regime hinderte ihn allerdings nicht daran, mitunter eigenmächtig zu handeln: So setzte sich Schönbauer persönlich für einzelne MitarbeiterInnen ein, die unter anderem aus rassistischen oder politischen Gründen verfolgt waren, darunter auch seine langjährige Mitarbeiterin Marlene Jantsch (geb. Ratzersdorfer). Sie war ab 1942 seine Privatassistentin und hatte etliche seiner Publikationen „aufbereitet“. Sie gilt als „‚Ghost-Writerin‘ des in Medizingeschichte nur eben dilettierenden Chirurgen Leopold Schönbauer“, wie der Medizinhistoriker Michael Hubenstorf schrieb. Jantsch war gemeinsam mit ihrem Ehemann Hans Jantsch auch mehrheitlich für die Recherchen und Texte zu Schönbauers Werk „Das Medizinische Wien“ verantwortlich. Im Vorwort dankte Schönbauer aber nur ungenau „Dr. Jantsch“. Diese Monografie erschien erstmals 1944 und wurde nach 1945 als Beweis für Schönbauers antinazistische Haltung herangezogen, weil im Buch zahlreiche Mediziner jüdischer Herkunft genannt wurden, auch solche, die 1938 entlassen worden waren. So wurden unter anderem der Medizinhistoriker Max Neuburger, die Anatomen Emil Zuckerkandl und Julius Tandler, die Nobelpreisträger Robert Bárány, Karl Landsteiner, Otto Loewi oder der Pharmakologe Ernst Peter Pick erwähnt. Nur im Namensverzeichnis findet sich hingegen Sigmund Freud, dessen Name auf der angeführten Seite aber fehlt. Schönbauer führte in seinen Nachkriegserinnerungen aus, dass so mancher Parteigenosse das Buch als „Judenalmanach“ ansah, und reklamierte damit eine oppositionelle Haltung für sich. Von solcher „Opposition“ war freilich nicht die Rede, als Wiens Bürgermeister Hanns Blaschke 1944 im Zuge der Einweihung der Billroth-Statue im AKH Schönbauer öffentlich für das Werk dankte.

Mai 1945 und „die Rettung“

Vor allem war es auch die Erzählung von der „Rettung des AKH“, die Schönbauers Ansehen nach 1945 prägte. Dass es am besagten 8. April 1945 indes nicht ganz so turbulent zuging, wie später behauptet, legen militärhistorische Forschungen nahe, die die Heldenhaftigkeit seines Engagements relativieren. Als Anfang April 1945 der Kampf um Wien begann, war das AKH bei Weitem nicht so relevant und umkämpft, wie im folgenden Zitat suggeriert wird: „Selbst die unter uns, die nicht in der Nähe des Allgemeinen Krankenhauses wohnen, werden sich noch daran erinnern, wie in den damaligen Heeresberichten von den harten Kämpfen beim Allgemeinen Krankenhaus gesprochen wurde.“

Mit diesem Satz begann die Tageszeitung Neues Österreich am 18. Mai 1945 einen dramatischen Bericht darüber, was rund um den 8. April im AKH geschehen war: Der Chirurg Leopold Schönbauer habe damals „5.000 Menschen, Kranke und Personal“, gerettet. Ein Mythos war geboren, und das befreite Wien hatte einen Helden im weißen Ärztekittel.

Die Stimmung in AKH war aber gewiss sehr angespannt: Zu ihrer Sicherheit wurden Patient*innen in Luftschutzkeller verlegt, in denen auch die Bevölkerung aus der Umgebung Schutz suchte. Zur gleichen Zeit hatte sich im Spital eine Widerstandgruppe eingefunden, die den Krankenhauskomplex friedlich an die Befreier Wiens übergeben wollte. Ihre Mitglieder waren es auch, die auf Schönbauer zugingen und ihn anstelle des Spitalsdirektors Viktor Satke aufforderten, die Leitung zu übernehmen.

Was danach genau geschah, ist nicht mehr eindeutig zu rekonstruieren. Sogar in den Berichten, die dem über Jahre anwachsenden NS-Registrierungsakt Schönbauers im Wiener Stadt- und Landesarchiv beiliegen, widersprechen sich die Aussagen. Offensichtlich ist, dass Schönbauer Kontakt zur SS hatte, die es in Erwägung zog, „das Krankenhaus selber in die Verteidigung miteinzubeziehen“. Belegt ist auch, dass es Kontakt zu sowjetischen Truppen gab. Wie die Verhandlungen liefen und wer bzw. welche Gruppe(n) aus dem AKH daran beteiligt war(en), lässt sich nicht mehr eindeutig feststellen. Gesichert ist, dass Schönbauer daran mitwirkte, das AKH im April 1945 durch die Tage des Kampfs um Wien und vor allem durch die ersten Nachkriegswochen zu führen. Aussagen wie: „er allein war es, der wenige Stunden später mit aller Entschiedenheit den Eroberern entgegengetreten war, um sie mit vollem Erfolg in ihre Schranken zu weisen“, gehören aber eher in den Bereich der Legendenbildung. Die Erzählung selbst schaffte es dennoch in den 1980er Jahren in die breitenwirksame Dokumentarfilmreihe Österreich II von Hugo Portisch.

Der Neubeginn 1945 und die Frage „Registrierung oder Nicht-Registrierung?“

Dass Schönbauer am 8. April 1945 von der Widerstandsgruppe und auch von der Belegschaft zum Direktor des AKH gewählt wurde, entließ ihn nicht aus der Pflicht, sich als eines von knapp 700.000 NSDAP-Mitgliedern in Österreich zu registrieren. Gleichzeit musste an der Universität Wien politisch geprüft werden, ob er als ehemaliges Parteimitglied weiter unterrichten und an der Universitätsklinik arbeiten durfte. Schönbauer verfolgte das Ziel, erst gar nicht auf den Listen der registrierungspflichtigen Nationalsozialist*innen aufzuscheinen.

Bereits im Juni 1945 legte der damalige Rektor der Universität Wien, Ludwig Adamovich sen., eine Erklärung ab, in der er Schönbauers Engagement gegenüber Patient*innen und Mitarbeiter*innen betonte, darunter auch als „Mischlinge“ im Nationalsozialismus Verfolgte. Adolf Schärf, späterer Bundespräsident (SPÖ), war vom 3. bis zum 10. April 1945 Patient Schönbauers gewesen und auf Schärfs Initiative geht auch eine Ausnahmebestimmung im §27 des NS-Verbotsgesetzes vom Mai 1945 zurück, inoffiziell hieß dieser auch der „Schönbauer-Paragraf“ oder „Lex Schönbauer“. Schärf wollte damit ermöglichen, dass Nationalsozialist*innen vereinzelt aus den Registrierungsakten der Entnazifizierung gestrichen werden konnten, um sie so vor Sühnemaßnahmen wie Berufsverboten zu bewahren. Schärfs Intervention hatte Folgen, denn aus der Ausnahme wurde die Regel: die „§27 Methode“. Allzu viele nahmen daraufhin diese Sonderregel für sich in Anspruch und behaupteten, ihre Mitgliedschaft in der NSDAP niemals missbraucht oder stets eine positive Einstellung zur unabhängigen Republik Österreich vertreten zu haben.

Schönbauer konnte zwar nicht verhindern, dass er als Nationalsozialist offiziell registriert wurde, doch mit Rückendeckung des Bundesministeriums für Unterricht erwirken, dass das Berufsverbot einfach nicht auf ihn angewandt wurde, während 75 Prozent der Hochschullehrer*innen an der Medizinischen Fakultät nach Kriegsende wegen ihrer politischen Belastung vorerst nicht mehr unterrichten durften.

Im Februar 1947 trat dann das „Nationalsozialistengesetz“ in Kraft, das zwischen minderbelasteten und belasteten Personen unterschied. Zudem setzte es den Bundespräsidenten anstelle der provisorischen Regierung zur Erteilung von Ausnahmen nach dem § 27 ein. Eine Passage in diesem Gesetz war für Schönbauer besonders relevant: Von der Registrierung als Nationalsozialist sollte ausgenommen werden, wer „mit der Waffe in der Hand in den Reihen der alliierten Armeen gekämpft“ hatte. Schon drei Tage nach der Veröffentlichung des Gesetzes stellte Schönbauer einen Antrag auf Entregistrierung. Im Juni 1947 entschied Bundespräsident Karl Renner offiziell, Schönbauer von den Bestimmungen der Artikel III und IV des Verbotsgesetzes 1947 auszunehmen – nicht aber von gewissen Sühnemaßnahmen. Schönbauer erhielt offiziell den § 27, aber nicht im vollen Umfang, er blieb registrierter Nationalsozialist.

Im April 1948 wurde die vorzeitige Beendigung der im „Nationalsozialistengesetz“ vorgesehenen Sühnefolgen für minderbelastete Personen durch das „Amnestiegesetz“ beschlossen. Im Juni 1948 wurde Schönbauer daher vom Unterrichtsministerium offiziell wieder zum ordentlichen Professor ernannt und erhielt das seiner Funktion entsprechende, kurzzeitig jedoch gekürzte Gehalt. In der gesamten Zeit seit April 1945 war Schönbauer nicht nur „nicht entfernt“ worden, sondern auch Direktor des AKH geblieben. Das alles gelang, obwohl er immer wieder auch öffentlich kritisiert wurde. Im Oktober 1946 etwa veröffentlichte die Zeitung „Welt am Abend“, geführt von den französischen Alliierten, unter der Überschrift „Denazifizierte Aerzteschaft“ heftige und vor allem gut informierte Kritik an Schönbauer im Kontext der NS-Zwangssterilisationen. Eine Reaktion auf die Anschuldigung ist nicht bekannt. Der Artikel ist nicht in einer der Personalakte zu Schönbauer abgelegt worden, und somit ist nicht einmal klar, ob ihn jemand in der Universitätsverwaltung wahrgenommen hat. Wenig überraschend blieb der Beitrag folgenlos. Schönbauer und seine Kolleg*innen mussten sich nach Kriegsende auch nicht für Zwangssterilisationen vor Gericht verantworten.

Schönbauer und die „Ehemaligen“

Verständnisvoll und fast entschuldigend schrieb die ehemalige Mitarbeiterin Marlene Jantsch 1968 über Schönbauers Verhalten in Nationalsozialismus:

„Seiner dem Tagesgeschehen entrückten Haltung entsprach es, dass er durchaus bereit war, mit den Machthabern des Dritten Reichs zusammenzuarbeiten, so lange es ihm für die Klinik und ihre Patienten gut schien.“

Dem steht gegenüber, dass Schönbauer durchaus ausgeprägte Karriereambitionen hatte und zu deren Erfüllung Kontakte sowohl zu (ehemaligen) Austrofaschist*innen wie auch zu Nationalsozialist*innen pflegte. Nach der Kriegsniederlage setzte er sich zudem für nationalsozialistisch belastete Mitarbeiter*innen und Kolleg*innen ein – ob aus Freundschaft und/oder ideologischen Gründen, kann hier nicht geklärt werden. So wurde er initiativ, als es darum ging, für den Historiker Heinrich Srbik, den Präsidenten der Akademie der Wissenschaften von 1938 bis 1945, jene Pensionszahlungen zu reklamieren, die ihm durch die Entnazifizierungsmaßnahmen gestrichen worden waren. Ähnlich war es im Fall des Professors Viktor Christian. Für das ehemalige illegale NSDAP-Mitglied, das in den letzten Kriegstagen kurz Rektor der Universität Wien gewesen war, lobbyierten neben Schönbauer noch andere rechtsnationale Professoren, die mit dem Nationalsozialismus zumindest sympathisiert hatten: Wilhelm Czermak, Gustav Entz und Richard Meister.

In den 1950er Jahren war Schönbauer auch ein gern gesehener Gast im Rahmen von Veranstaltungen deutschnationaler Burschenschaften. Im Studienjahr 1953/54 wurde er Rektor und war damit nach 1945 das erste ehemalige NSDAP-Mitglied in dieser Funktion. Aus dem Rektorat heraus pflegte er seine politischen Kontakte offen und nahm im Dezember 1953 an der rechten „Heldengedenkfeier“ in der Universitätsaula teil. Er stellte auch die Antrittsvorlesung des NS-belasteten Theaterwissenschafters Heinz Kindermann unter seinen persönlichen Schutz und publizierte zudem in der einschlägigen Zeitschrift „Die Aula“.

Treu blieb er auch den beiden NS-Rektoren der Universität Wien, Fritz Knoll und Eduard Pernkopf. Trotz ihrer hohen Funktionen zur Zeit des Nationalsozialismus und ihrer illegalen Parteimitgliedschaft bei der NSDAP vor 1938 wurden beide ehemaligen Magnifizenzen nur als minderbelastet eingestuft. Die Rückkehr an ihre Professuren scheiterte zwar; doch sie konnten ihre akademischen Arbeiten wieder aufnehmen und dabei auch auf Schönbauer zählen. 1959 unterstützte Schönbauer dann auch die Initiative, die Namen von Fritz Knoll und Eduard Pernkopf in die sogenannte Rektorentafel im Hauptgebäude am Ring nachtragen zu lassen. Dieser Vorstoß aus von extrem rechter Seite hatte Erfolg: 14 Jahre nach Kriegsende erhielten Knoll und Pernkopf mithilfe des Akademischen Senats einen Ehrenplatz auf der prominenten Gedenktafel. Rektor Tassilo Antoine konnte das Einmeißeln der Namen im Herbst 1959 verkünden. Der Gynäkologe war nicht nur Medizinerkollege von Pernkopf, sondern in den 1940er Jahren als Verantwortlicher für Zwangsterilisationen an Frauen am AKH nominiert gewesen. Schönbauer trat auch als Fürsprecher Sigbert Ramsauers auf, des berüchtigten Arztes der Konzentrationslager Dachau, Mauthausen und Loibl.

Schönbauer und die (Ehrungs-)Politik

Schönbauer zog es in den 1950er Jahren immer mehr in die Politik. Als im März 1958 mit Anton Reinthaller der erste Obmann der FPÖ verstarb, wurde der Chirurg als möglicher Nachfolger gehandelt. Ein Jahr später ließ sich Schönbauer von der ÖVP als „nationaler Quereinsteiger“ bei den niederösterreichischen Landtagswahlen aufstellen. Man sah in ihm den „bekanntesten und fähigsten Vertreter der National-Freiheitlichen“, wie es in der ÖVP-Wahlkampfzeitung hieß. Anstatt nach der Wahl in den Landtag einzuziehen, wurde er Abgeordneter im Nationalrat und wirkte dort für die ÖVP von Juni 1959 bis Dezember 1962. Er war Mitglied im Ausschuss für soziale Verwaltung sowie für Unterricht.

Schönbauer erhielt nach 1945 viel öffentliche Anerkennung sowie zahlreiche Ehrungen, u.a. 1950 den Preis der Stadt Wien für Naturwissenschaften, 1958 das Österreichische Ehrenzeichen für Wissenschaft und Kunst sowie den Ehrenring der Stadt Wien und das Großes Verdienstkreuz mit Stern der Bundesrepublik Deutschland, 1959 die Billroth-Medaille.

Was bleibt?

In seinen Erinnerungen präsentiert sich Schönbauer als Mediziner durch und durch. Diese Selbstdarstellung sollte letztlich auch dazu dienen, sein offensichtliches Engagement für den Nationalsozialismus kleinzureden. Kontrastiert man diese apolitische Selbstdarstellung mit den verfügbaren Quellen zur Biografie Schönbauers, zeigt sich eine erstaunliche politische Vernetzung, die nicht vor dem Spitalstor haltmachte. Er schaffte es, in beiden Diktaturen und in der Ersten wie in der Zweiten Republik zu reüssieren. An seinem Beispiel lässt sich nachvollziehen, wie sich nach 1945 halb Österreich als Opfer und/oder Widerstandskämpfer*in verstand. Anhand seiner Vita bekommt man auch eine Vorstellung davon, wie ein „routinierter Opportunist“ (Ingrid Arias) aussehen kann und welche Vorteile es hatte, situationselastisch zu bleiben.

Es bleibt die Tatsache, dass Schönbauers Mitverantwortung in der NS-Wissenschaft bei seinen zahlreichen Ehrungen nach 1945 ausgeblendet wurde, auch bei jenen, die erst posthum verliehen wurden: Ehrengrab am Zentralfriedhof (1963), Schönbauer-Büste im Foyer des Instituts für Neurochirurgie im neuen AKH (Campus der Medizin Universität Wien), Gemeindebau Dr.-Leopold-Schönbauer-Hof in Wien 14 (1970), Schönbauer-Sonderbriefmarke (1988) oder der 1981 eingeweihten Gedenktafel für ihn als „Retter des AKH“, die sich heute im Hof 1 des Campus der Universität Wien  links neben dem Jahoda Tor befindet.

Archiv der Universität Wien, Medizinische Fakultät, Personalakt Leopold Schönbauer.
Josephinum – Ethik, Sammlungen und Geschichte der Medizin, MedUni Wien (MUW), Autographensammlung (AS), MUW-AS-004455-209, Leopold Schönbauer (1888–1963), Lebenserinnerungen sowie MUW-AS-003651-0008-002, Manuskript Marlene Jantsch, Leopold Schönbauer (13.XI.1888–11.IX.1963) österreichischer Chirurg.
Österreichisches Staatsarchiv, Archiv der Republik, Inneres 1945–2002, Gauakt 1416 (Leopold Schönbauer).
Wiener Stadt- und Landesarchiv M.A bt. 119 – NS-Registrierung: Leopold Schönbauer, 103-9/17-25: A42/109 sowie Ärztekammer Wien, A1 – Personalakt Leopold Schönbauer, Vermerk, 21. 11. 1946. WStLA.
Universität Wien, Fachbereichsbibliothek Zeitgeschichte, Berlin Document Center, NSDAP Ortsgruppenkartei, Mikrofilm A3340/Leopold Schönbauer.

** Dieser Beitrag ist eine gekürzte Version des Artikels der Autorin „Ein Herr Karl im Ärztekittel“ (2022), in dem auch alle wissenschaftlichen Zitate und Verweise angeführt werden. **

Linda Erker

Zuletzt aktualisiert am 04.04.2024 - 20:42

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