Juridicum

1984–21. Jhdt.

100 Jahre nach der Eröffnung des Hauptgebäudes an der Ringstraße (1884) übersiedelte die Juridische Fakultät in das "Juridicum". Seit 1984 befinden sich im zentralen Fakultätsgebäude der Rechtswissenschaftlichen (damals noch: Rechts- und Staatswissenschaftliche) Fakultät zahlreiche Institute mit der Bibliothek als Mittelpunkt, Hörsaalzentrum im Untergeschoss und Veranstaltungszentrum im Dachgeschoss. Entworfen und geplant von Architekt Ernst Hiesmayr ab 1968, wurde es 1984 bezogen.

Akuter Raummangel

Anfang der 1960er Jahre war die Raumnot der Universität enorm. Die Purr-Studie von 1965 zu stadträumlichen Entwicklungsmöglichkeiten der Universität skizzierte die Situation der Juridischen Fakultät damals so: "Die Raumsituation muss geradezu als Katastrophe bezeichnet werden. Professoren, Dozenten und Studierende müssen, oft in einem einzigen Raum arbeiten, Die Hörsäle, die Institute und die Seminare können die Studenten nicht mehr aufnehmen, Der akute Raummangel gefährdet eine gediegene Ausbildung der Studierenden. Eine Forschungstätigkeit der akademischen Lehrer an der Hochschule selbst ist bei diesen Raumverhältnissen kaum mehr möglich." Purr plädierte für die grundsätzliche Ausrichtung der Universität auf den innerstädtischen Ausbau statt eines großzügigen Campus' am Stadtrand und empfahl ein eigenes Fakultätsgebäude.

Bauplatz im Ringstraßenviertel

Das Unterrichtministerium erwarb 1968 von der Reifenfirma Semperit einen Häuserkomplex, 5 Gehminuten vom Hauptgebäude, zwischen Helferstorferstraße und Schottenbastei 10-16. Die anderen Fakultäten lehnten die baufälligen Häuser als ungeeignet ab, daraufhin beanspruchte die Rechts- und Staatswissenschaftliche Fakultät sie für ein Neubauprojekt zur Lösung ihrer Raumprobleme. Nach Erstellung von Raum- und Funktionsplänen wurde entschieden, den alten Gebäudekomplex (ca. 11.000 m²) niederzureißen und ein neues Gebäude nur für die juristischen Fächer zu errichten. 1970 wurde mit dem Abbruch des Semperit Komplexes begonnen. Die Herausforderung des Baues bestand i.A. darin, auf nur 2.600 m² Grundfläche, 22.000m² Nutzfläche unterzubringen, ohne die Nachbarhäuser zu überragen oder grundwasserbedingt mehr als drei Geschosse in den Untergrund zu gehen.

Moderne Architektur

Der Architekt Ernst Hiesmayr plante ab 1969/70, gemeinsam mit dem Baubeauftragten der juridischen Fakultät Prof. Günther Winkler das Juridicum (Bauzeit 1974-1984). Es erregte vor allem durch seine Hänge- und Brückenkonstruktion Aufsehen: Das 26 m hohe Haus "steht" nicht, sondern die Geschoße hängen von einer ca. 30 Meter hoch gestemmten Doppelbrücke mit fast 53 Metern Spannweite. Dieses Stahlgerippe wiegt knapp 3.000 Tonnen und ruht auf vier 39 Meter hohe massive Stahlbetonpylonen (die auch noch ein Kühlsystem bergen, das im Brandfall ein Knicken dieser tragenden Elemente verhindert). Da machte dicke tragende Wände entbehrlich und schuf so den nötigen Raum und ermöglichte die große, völlig stützenfreie große Eingangshalle. Die Stahl-Glas-Fassade im historistischen Ambiente rief unter den Anrainer der Ringstraßenhäuser keine große Zuneigung hervor.

Mehr Platz für Studierende

Das neue Haus bot die fünffache Nutzfläche, wobei fast 85 % der Fläche gewidmet waren für Bibliothek und studentische Lahr- und Aufenthaltsräume. Dekanat und ÖH zogen ebenfalls mit, die Verwaltungen von Fakultät und Bibliothek wurden vereinfacht und konzentriert. Die Arbeitsplätze sind für die verschiedenen Personengruppen verhältnismäßig egalitär ausgestaltet und manifestieren in dieser Gleichartigkeit, vor allem der Möblierung, ein durchaus demokratisches Architektur- (und Universitäts-)verständnis. Neben klassischen Massenvorlesungen in Großhörsälen, waren auch Raumstrukturen für andere, kleinräumigere didaktische Konzepte geschaffen worden, sowie ein Café und eine große Aufenthaltshalle ("Aula") im Haus und eine großzügige Fußgängerzone um das Haus (die erste in Wien rechtlich gewidmete!).

Bald wieder zu klein

Lehrkörper und Studierendenzahl wuchs in den 1960er Jahren an der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät, das UOG 1975 und das 1978 beschlossene Studiengesetz für die Juristen schufen während der Bauzeit auch neue Rahmenbedingungen (Lehrkanzelvermehrung, Aufstockung des wissenschaftlichen Personals) was sich ab 1980 stärker bemerkbar machte. Bei Beginn der Planung gab es 1.800 Jus-Studierende, die erwartetet Verdreifachung in 15 Jahren war aber weitaus höher, ebenso der Personalstandes wo die erwartete Zunahme um etwa 30-40% ebenso übertroffen wurde wie die erwartete Verdreifachung der Bücher von etwa 120.000 auf 360.000 Bände. Trotz der Vervierfachung des Raumes – davor standen der Fakultät ca. 4.000 m² Nutzfläche im Hauptgebäude und rd. 1.000 m² in dislozierten Anmietungen zur Verfügung – wurden bei Bezug des Gebäudes schon Ausbau- und Erweiterungspläne in Richtung auf das Schottenbastei Gymnasium angedacht, bzw. wurde das gegenüberliegende Haus in der Heßgasse angemietet.

Bibliothek im Zentrum

Im Zentrum des Gebäudes steht die Bibliothek. Sie entstand Ende des 19. Jahrhunderts aus Büchernachlässen der beiden berühmten Juristen Heinrich Siegel und Anton Menger ("Juridisches Seminar", später "Hauptinstitut für Rechtswissenschaft", dann "Bibliothek für Rechtswissenschaft"), exklusiv für wissenschaftliche Nutzung. Für Studierende gab es daneben die selbstverwaltete sogenannte "Proseminar"-Bibliothek, die aber nach dem Zweiten Weltkrieg eingegliedert wurde. Die Vermehrung des Buchbestandes, der Anstieg studentischer NutzerInnen und Gründung neuer Institute und Lehrstühle führte bereits 1962 zu einer Teilung der Bibliothek – räumlich, budgetär und verwaltungstechnisch, der eine weitere Zersplitterung folgte. Im Zuge des Universitätsorganisations-Gesetztes UOG 1975 wurde die Bibliothek wieder zentralisiert, in die Universitätsbibliothek eingegliedert und 1977 als Fakultätsbibliothek für Rechtswissenschaften für den gesamten Bereich der rechtswissenschaftlichen Fakultät errichtet. Architektonisch und organisatorisch bildet die 1984 über sechs Stockwerke verteilte Freihandbibliothek das Zentrum des Juridicums, wo Lehrende und Lernende bei der Literaturauswahl demokratisch aufeinandertreffen und kommunizieren können.

Daneben enthält das Gebäude auch noch Magazin- und Depoträume, im dritten Untergeschoß eine Garage mit 70 Stellplätzen und einen Schutzraum für 1.100 Personen.

Gedenken NS-Zeit

Die Aufbruchsstimmung der Übersiedelung führte nach dem Ende der Opfer-These Österreichs im Nationalsozialismus im Waldheim-Wahlkampf 1986 und dem Bedenk-Jahr 1988 zum 50. Jahrestag des so genannten Anschlusses führten auch zu einer offensiveren und systematischeren Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte, die sich neben der Ringvorlesung "Nationalsozialismus und Recht" auch in der Errichtung einer Gedenktafel im Hörsaalbereich des Juridicums im März 1988 manifestierte. Die Bronzeplatte erinnert an diejenigen, „die sich dem Missbrauch des Rechts zur Unterdrückung und Vernichtung des Menschen widersetzten“.

Kunst am Bau

Im großzügigen Fussgängerbereich finden sich auch einige wertvolle Skulpturen – Kunst am Bau – die anfangs eher abgelehnt wurden: etwa die Bronzeskulptur von Herbert Albrecht, und einer großen liegenden Steinskulptur von Karl Prantl in der Helferstorferstraße bzw. mit zwei großformatigen Arbeiten von Max Weiler ("Natur mit Caput Mortuum" und "Ganz rechts lebendige Natur" von 1973) im Trägergeschoss und der blaugrünen "Glaswolke" von Leo Wollner im Dachgeschoss,

2004 kam das Juridicum zu literarischen Ehren, als es Tatort eines Kriminalromans wurde (Inge Gampl, Tod im Juridicum) bzw. filmisch im Dokumentarfilm von Klub Zwei "LIEBE GESCHICHTE" 2009.

  • „Juridicum“, 2013

    BestandgeberIn: Universität Wien, Öffentlichkeitsarbeit ©

    Universität Wien

    2013

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