Clemens Peter Pirquet Freiherr von Cesenatico, genannt de Mardaga, o. Univ.-Prof. Dr. med.
Kinderarzt, Bakteriologe und Immunologe, Pionier der Allergieforschung
„Clemens von Pirquet prägte den Begriff der Allergie. Darüber hinaus waren seine Forschungsergebnisse bahnbrechend für die Immunologie, Stoffwechsellehre, Ernährungsmedizin, Präventivmedizin, Psychologie, Infektiologie und die Entwicklung von Impfungen.“
Rudolf Valenta, Professor für Allergologie an der Medizinischen Universität Wien
Ehrungen
Ehrung | Titel | Datierung | Fakultät | |
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Denkmal | 1931/32 | Medizinische Fakultät |
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Denkmal Arkadenhof | 1962 | Medizinische Fakultät |
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- Medizin
- Kinderheilkunde
- Bakteriologie
- Immunologie
- Allergologie
- Medizinische Fakultät
Clemens von Pirquet war der Sohn des Reichsrats- und Landtagsabgeordneten Peter Freiherr Pirquet von Cesenatico, genannt de Mardaga (1838–1906) und von Flora, geborene Freiin von Pereira-Arnstein (1845–1912), die aus einer jüdischen Wiener Bankiersfamilie stammte. Er besuchte zunächst das Schottengymnasium in Wien, danach das Kollegium Kalksburg und maturierte schließlich 1892 im Theresianum. Seinem ursprünglichen Berufswunsch als Jesuitenpater folgend, studierte er zunächst Theologie an der Universität Innsbruck. Bereits 1893 ging er zum Philosophiestudium nach Löwen und schloss dieses 1894 mit dem Magisterium ab. Ein Jahr später begann er gegen den Willen seiner Eltern, die den Arztberuf für nicht standesgemäß hielten, mit dem Medizinstudium in Wien, wechselte dann an die Universitäten in Königsberg und Graz. In der steirischen Landeshauptstadt wurde er 1900 zum Dr. med. promoviert. Eine mehrmonatige Tätigkeit als Militärarzt und ein Volontariat im Wiener St. Anna Kinderspital dürften wohl seine Interessen für Bakteriologie, Serologie, Immunologie sowie für Kinderheilkunde geweckt haben. Daraufhin vertiefte er seine Kenntnisse an der Charité in Berlin. Dort lernte er auch seine spätere Ehefrau Maria Christine van Husen (1878–1929) kennen. Die 1904 geschlossene Ehe blieb kinderlos und war gezeichnet von der Barbituratabhängigkeit Marias, die noch dazu von Pirquets Familie massiv abgelehnt wurde.
1901 wurde Pirquet Sekundararzt, 1902 Assistent am St. Anna Kinderspital und wirkte ebenso am Institut für Serotherapie der Universität Wien. Dort lernte er die Behandlung von Scharlach mit Pferdeserum kennen. Nach seiner Habilitation für Kinderheilkunde 1908 erhielt er ein Jahr später als Erster eine Professur für Kinderheilkunde an der Johns Hopkins University in Baltimore/USA und übernahm dort auch die Stelle des Chefarztes am Harriet Lane Home for Invalid Children. 1910 folgte noch ein Zwischenstopp als Professor für Kinderheilkunde an der Universität Breslau, ehe Pirquet 1911 zum Vorstand der Universitätskinderklinik in Wien ernannt wurde. Im selben Jahr gründete er an der Universität Wien eine heilpädagogische Abteilung, die sich weltweit erstmalig auf klinische Forschung und Behandlung von hirnorganischen Schädigungen und Verhaltensauffälligkeiten bei Kindern spezialisierte. 1923 übernahm er kurzfristig den Lehrstuhl für Pädiatrie an der Medizinischen Fakultät der Universität in Minnesota, kam aber rasch wieder nach Österreich zurück, wo er weiterhin die Kinderklinik leitete.
Pirquet als Arzt und Wissenschaftler
Pirquets Interesse galt den Infektionskrankheiten, allen voran der Diphtherie, den Masern und der Tuberkulose. Dazu verfasste er 1903 seine Arbeit „Zur Theorie der Infektionskrankheiten“ und beschrieb zwei Jahre später gemeinsam mit Béla Schick erstmals „Die Serumkrankheit“. Diese Publikation fußte auf der Beobachtung, dass Personen nach einer Immunisierung mit dem Pockenimpfstoff bei einer neuerlichen Injektion verstärkte Reaktionen zeigen konnten. Pirquet fand heraus, dass bei Injektionen mit Diphtherieserum nicht nur schützende Antikörper gebildet werden, sondern diese auch Überempfindlichkeitsreaktionen wie Heuschnupfen, Asthma oder Anaphylaxie auslösen können. Außerdem befassten sich Pirquet und Schick mit der Dauer von Inkubationszeiten. 1907 entwickelte Pirquet die Tuberkulin-Probe, auch als „Pirquet-Probe“ oder „Pirquet-Reaktion“ bekannt, als diagnostisches Hilfsmittel zur Früherkennung von Tuberkulose. Aufgrund seines Beitrags zum Fürsorgewesen im „Roten Wien“ schlug man ihn 1928 sogar als Kandidat für die Bundespräsidentenwahl vor. Am Dach seiner Klinik richtete er eine Terrasse für Freiluftkuren für tuberkulosekranke Kinder ein und isolierte infektiöse Patient*innen.
1906 begründete Pirquet die Lehre von den Allergien und führte diesen Begriff in die Wissenschaft ein. Als Allergie bezeichnete er eine veränderte Reaktionskette des Körpers, wenn bei häufigem Kontakt mit einem allergieauslösenden Stoff eine Reaktion mit einem Gegenstoff, dem sogenannten Antigen, erfolgte.
Um die Säuglingsernährung gegen Ende des Ersten Weltkriegs und in der Nachkriegsphase zu verbessern, entwickelte Pirquet das sogenannte „NEM-(=Nahrungs-Einheit-Milch)-Ernährungssystem“. Nach diesem entsprach 1 NEM 1 g Milch und diese Mengenangabe sollte als Basis für großangelegte Kinderausspeisungen dienen. Um eine ernährungstechnische Versorgung für möglichst alle Säuglinge sicherzustellen, berechnete Pirquet zwischen dem Maximum und dem Optimum an Nahrungszufuhr auch eine Toleranzbreite. Bei der Umsetzung des Projekts erhielt er aufgrund seiner guten Kontakte in die USA von dort Unterstützung.
Pirquet waren Schulhygiene, der schulärztliche Dienst und die Zahnheilkunde wichtige soziale Anliegen. Mittels populärer Vorträge versuchte er die Bevölkerung für die Ursachen von Infektionskrankheiten und entsprechende prophylaktische Maßnahmen zur Vermeidung zu sensibilisieren. Was die Zahnmedizin anbelangte, schlug er 1924 vor, die Zähne in einem Zahnschema numerisch mit einem Zwei-Ziffern-System zu benennen. Pirquets Modell wurde 1960 von Joachim Viohl aufgegriffen und wird seit 1970 als Weltgesundheitsorganisations-Zahnschema verwendet. Weiters gelang ihm die Etablierung der Kinderneuropsychiatrie als Spezialfach. Seinen Patient*innen las er selbst aus Kinderbüchern vor, erzählte Märchen, übte Lieder mit ihnen oder veranstaltete Feste für sie. Besonderen Wert legte er auf eine qualifizierte Ausbildung der Krankenschwestern und Ärzt*innen. So bestimmte er, dass alle zukünftigen Mediziner*innen an seiner Klinik ab 1924 ein Krankenpflegepraktikum absolvieren mussten, um Einblicke in die Probleme der Pflege zu erhalten und dadurch die Zusammenarbeit zwischen Pflegepersonal und Ärzt*innen zu verbessern.
Pirquets Scheitern am Nobelpreis
Pirquet wurde zwischen 1914 und 1929 insgesamt fünfmal für den Nobelpreis nominiert. Die Nominatoren hielten seine Leistungen in der Allergie-, der Tuberkulose- und der Masernforschung ebenso preisverdächtig wie seine Bemühungen um die Säuglingsernährung. Er kam beim Nobelkomitee nicht einmal in die engere Wahl, wohl, weil pädiatrische Forschungsleistungen selten berücksichtigt wurden und weil seine Theorien zu Allergien oder zur Tuberkulinreaktion genauso wie seine Auffassungen zur Ernährungslehre teils heftig umstritten waren. Sein Nachfolger und Rivale Franz Hamburger machte viele eingeführte Konzepte Pirquets rückgängig. Dazu kam noch, dass Pirquet nie die eine bahnbrechende Leistung gelang, mit der nur er in Verbindung gebracht werden konnte, auch hatte er keine eigene Schule begründet. Die beiden letzten Nominierungen kamen überhaupt nicht mehr zum Tragen, da Pirquet sich bereits gemeinsam mit seiner Ehefrau mit Zyanid vergiftet hatte.
Nachleben
Pirquet war Mitglied des Obersten Sanitätsrats für Österreich, Präsident der Wiener Gesellschaft für Kinderheilkunde und Präsident der Union Internationale au Secours des Enfants in Genf. 1918 gründete er die Schwesternschaft der Universitätskinderklinik in Wien und 1927 die Österreichische Gesellschaft für Volksgesundheit. 1907 erhielt er den Preis der Dr.-Moriz-Andreas-Goldberger-Stiftung der Gesellschaft der Ärzte. Straßen in Wien-Donaustadt und in Perchtoldsdorf sind nach ihm benannt, 1932 wurde der kurz zuvor errichtete Gemeindebau mit 247 Wohnungen, Kindergarten, Jugendhort und Werkstätten in Wien-Ottakring nach ihm „Pirquethof“ benannt. Die Österreichische Gesellschaft für Allergologie und Immunologie vergibt die Clemens von Pirquet-Medaille, die Österreichische Gesellschaft für Kinder- und Jugendheilkunde den Pirquet-Preis. 2010 wurde eine ihm gewidmete 50-Euro-Goldmünze geprägt, 2016 die Ganztagsvolksschule in der Wiener Pirquetgasse nach ihm benannt und er erhielt ein Ehrengrab auf dem Wiener Zentralfriedhof, ein Denkmal in den Neuen Kliniken des AKH (1931) und eines im Arkadenhof der Universität Wien (1962).
>>> E. Kaiserseder, Clemens von Pirquet. Genialer Kinderarzt und wissenschaftlicher Pionier.
Archiv der Universität Wien, Senat S 90.17; Senat S 222.35; S 304.961.
Zuletzt aktualisiert am 29.04.2024 - 22:05