Marie Anna Schirmann, Dr. phil.
- Physik
- Philosophische Fakultät
Marie Anna Schirmann wurde am 19. Februar 1893 in Wien geboren. Ihr Vater arbeitete als Musikprofessor am Wiener Konservatorium und ihre Mutter war am Sankt Anna Kinderspital tätig. Nach dem Besuch von Schulen in Deutschland und Österreich legte Schirmann im Juli 1914 am Mädchen-Obergymnasium des Vereins für erweiterte Frauenbildung im 6. Wiener Gemeindebezirk die Reifeprüfung ab. Es folgte ab dem Wintersemester 1914/15 ein Studium der Physik und Mathematik an der Universität Wien. Nach acht Semestern promovierte Schirmann mit Auszeichnung mit ihrer Dissertation: „Dispersion und Polychroismus des polarisierten Lichtes, das von Einzelteilchen von der Grössenordnung der Wellenlänge des Lichtes gebeugt wird“.
Gegen Ende des Ersten Weltkrieges arbeitete sie als Physikerin im K. u. K. Flieger-Radio-Versuchslaboratorium am Elektrotechnischen Institut der Technischen Hochschule Wien. Nach Kriegsende begann die Wissenschaftlerin sich auch meteorologischen Fragestellungen zu widmen und arbeitete unter anderem über Himmels-Polarisation. 1920 folgte eine mehrmonatige Studienreise nach Schweden. Im selben Jahr reichte Schirmann ihr erstes Patent über „Entladungsröhren mit beweglichen Elektroden“ ein. Zwei Jahre später gelang es ihr als a. o. Assistentin am III. Physikalischen Institut bei Felix Ehrenhaft angestellt zu werden. Dort baute sie in den kommenden Jahren eine große Hochvakuumanlage auf. Im Zuge dieser Arbeiten reichte sie zwei weitere Patente ein. Die von ihr entwickelte „Quecksilberdampf-Extremvakuumpumpe“ wurde anschließend in Laboren und Fabriken in Deutschland, Holland, Japan und Russland eingesetzt. Nach Ablauf ihrer sechsjährigen Assistentenzeit erfolgte eine außerordentliche zweijährige Verlängerung. Obschon dabei auf ihre prinzipielle Eignung als Hochschullehrerin verwiesen wurde, wurde ihr dieser Karriereweg anschließend unmöglich gemacht. Ein 1930 eingereichtes Habilitationsgesuch wurde unter Hinweis auf formale und wissenschaftliche Gründe abgelehnt. Tatsächlich dürften jedoch frauenfeindliche Motive dahinter gestanden haben.
Nach ihrem Ausscheiden aus der Universität setzte Schirmann ihre wissenschaftliche Arbeit fort. Sie war als Privatlehrerin tätig und forschte in einem eigenen Labor. In diese Zeit fällt ihre Arbeit als Autorin des 8. Handbuchs der Geophysik, welches durch den deutschen Seismologen Beno Gutenberg herausgeben wurde. Nach dem Machtantritt der Nationalsozialisten wurde die Herausgeberschaft jedoch aus rassistischen Gründen auf den Frankfurter Meteorologie-Professor Franz Linke übertragen.
Nach dem „Anschluss“ wurde Schirmann das Ziel antisemitischer Diskriminierungs- und Verfolgungsmaßnahmen. Die Wissenschaftlerin versuchte vergeblich das Land zu verlassen. Da sie jedoch über keine Habilitation verfügte, gelang es ihr nicht, rechtzeitig eine Anstellung zu finden. Schirmann wurde schließlich am 5. März 1941 nach Modliborzyce im Distrikt Lublin ins Generalgouvernement (heute Polen) deportiert. Hier musste sie unter widrigsten Umständen in einer unbeheizten Holzbaracke wohnen und war Angriffen der deutschen Polizei und der SS ausgesetzt. Im Herbst 1941 wurde Schirmann von Franz Linke kontaktiert, der die Wissenschaftlerin in weiter Folge dazu zwang, ihr Manuskript für das Handbuch für Geophysik abzuschließen. Während das Buch in Druck ging, wurden die Insassen des Ghettos Modliborzyce Anfang Oktober 1942 zusammengetrieben und zum Teil an Ort und Stelle und zum Teil im Vernichtungslager Belzec ermordet. Der Artikel von Marie Anna Schirmann wurde ohne Nennung ihres Namens veröffentlicht. Er trägt den Titel: „Die Theorie der Zerstreuung, Extinktion und Polarisation des Lichtes in der Atmosphäre“.
Zuletzt aktualisiert am 20.08.2021 - 14:27