Oskar Morgenstern, o. Univ.-Prof. Dr. rer. pol., Dr. jur. h.c.
Begründer der Spieltheorie gemeinsam mit John von Neumann, Gründer des Instituts für Höhere Studien gemeinsam mit Paul Felix Lazarsfeld
Ehrungen
Ehrung | Titel | Datierung | Fakultät | |
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Ehrendoktorat | Dr. jur. h.c. | 1964/65 | Rechts- und Staatswissenschaftliche Fakultät |
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Stipendien/Preise/Stiftungen | Oskar-Morgenstern-Medaille | 2013 | Fakultät für Wirtschaftswissenschaften |
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- Wirtschaftswissenschaften
- Nationalökonomie
- Rechts- und Staatswissenschaftliche Fakultät
Morgenstern, Sohn eines Kaufmanns, besuchte das Realgymnasium in Wien und studierte anschließend Sozialwissenschaften an der Universität Wien. Seit 1923 Assistent an der Lehrkanzel für Politische Ökonomie unter Hans Mayer promovierte er 1925 zum "Dr. rer. pol." an der Universität Wien, und wurde im Sommer zum Fellow des Laura Spelman Rockefeller Memorial. Morgenstern verbrachte die folgenden zwei Jahre in England, den USA und Kanada, wobei er vorrangig an der Columbia University (New York) und der Harvard University (Cambridge) tätig war. Es folgte ein Research Fellowship in Economics an der Harvard University für das Studienjahr 1926/27 und 1927/28 ein Fellowship für Studien in Paris und Rom.
1928 erschien das Buch "Wirtschaftsprognose, eine Untersuchung über ihre Voraussetzungen und Möglichkeiten", in dem sich Morgenstern erstmals mit dem Rückkoppelungseffekt von Prognosen auseinandersetzte. Die Arbeit war auch Grundlage für seine Habilitation, die allerdings mit einiger Verzögerung erfolgte: Am 24. Mai 1928 beschloss das Professorenkollegium die Zulassung zu den weiteren Habilitationsschritten bzw. die Genehmigung der Habilitationsschrift, wogegen einzig Othmar Spann Einwände erhob und sich der Stimme enthielt. Die Gründe hierfür wollte er allerdings – auch nach Aufforderung des Dekans – nicht anführen. In der darauf folgenden Sitzung am 16. Juni plädierte Spann plötzlich für die Reassumierung des Beschlusses bzw. des Verfahrens, wiewohl die Genehmigung der Habilitationsschrift zu diesem Zeitpunkt bereits rechtskräftig war. Das Professorenkollegium beschloss nichtsdestotrotz – mit der Gegenstimme Spanns – die Zulassung zum Kolloquium, wobei der Dekan nun Spann ersuchte, Morgenstern dieses abzunehmen. Offenbar gekränkt lehnte Spann ohne Angabe von Gründen ab und verließ die Sitzung. Nach der Abhaltung des Probevortrages beschloss das Professorenkollegium mit einer Stimmenthaltung (Spann) die Verleihung der venia docendi zu beantragen. Dem Bericht an das Ministerium lag allerdings auch das Separatvotum Spanns vor, der in Morgensterns Arbeit mangelnde Originalität konstatierte und dem Autor vorwarf, "entweder Schrifttum, das er verpflichtet ist zu kennen, nicht kannte: oder daß er es benützte, ohne es zu nennen (im Original unterstrichen, Anm.)". Die Habilitation, so Spann, sei "dem wissenschaftlichen Ansehen der Fakultät nicht förderlich". Diesem Urteil standen allerdings zwei positive Gutachten von Hans Mayer und Ferdinand Degenfeld-Schonburg gegenüber. Im Ministerium blieb das Separatvotum Spanns aber nicht ohne Wirkung, war doch ein halbes Jahr später noch immer keine Bestätigung erfolgt.
Das Dekanat erneuerte daraufhin, im Dezember 1928, den Antrag und drängte auf eine baldige Entscheidung. Schließlich handle es sich bei Morgenstern um eine "im Ausland hervorragend anerkannte Persönlichkeit". Hans Mayer hatte zuvor von einer " schwere[n], weder durch die ausgezeichneten sachlichen Leistungen noch die hervorragenden persönlichen Qualitäten gerechtfertigte[n] Zurücksetzung und ideelle[n] Schädigung dieses heute bereits in der ganzen Welt anerkannten jungen Gelehrten" berichtet. In der Fakultät sei zudem bekannt geworden, "dass gegen Morgenstern in der Absicht seine Habilitation zu verzögern oder zu verhindern und um seine persönliche Integrität in Zweifel zu setzen, das Gerücht ausgesprengt wurde, dass er Freimaurer" sei. Mayer legte denn auch eine "ehrenwörtliche Erklärung" Morgensterns bei, in der dieser die "Vorwürfe" zurückweist. Nachdem auch diese Eingabe ohne Erfolg geblieben war, verfasste Degenfeld-Schonburg im März des Folgejahres eine Stellungnahme zu Spanns Separatvotum. Es wäre "merkwürdig [...], wenn der Morgenstern’sche Gedanke nicht schon früher in der Literatur zu spüren wäre", allerdings würde "die von Professor Spann angeführten Belege ihn nicht vollständig zeigen". Lavington etwa sei "noch nicht zu einer Kritik an der wissenschaftlichen Konjunkturprognose" gekommen. Zwar konstatierte auch Degenfeld gewisse Mängel – etwa die ausgebliebene Erwähnung von Knauth und des angeführten Lavington –, "von einem Plagiat" (wie von Spann nahe gelegt) könne allerdings "keine Rede sein". Hans Mayer, seines Zeichens auch Prodekan, übersandte dem Ministerium zudem ausgezeichnete Kritiken aus dem "Journal of Political Economy" und dem "Giornale Economisti".
Nun stellte auch das Ministerium fest, dass "die isolierte Stellungnahme Prof. Spanns keine genügende Handhabe dafür [biete], dem Habilitationsbeschlusse des Prof. Koll. die h. o. Genehmigung zu versagen". Morgenstern, der zu diesem Zeitpunkt auch Mitglied des theoretischen Ausschusses des "Vereins für Sozialpolitik" war, fungierte somit ab 1929 als Privatdozent für politische Ökonomie. Zwei Jahre später übernahm er als Nachfolger Friedrich August Hayeks die Leitung des "Österreichischen Instituts für Konjunkturforschung" (später: "Institut für Wirtschaftsforschung"), die er bis 1938 innehatte. Ausdruck seines wissenschaftlichen Renommees waren auch Rufe ins Ausland: War er bereits 1931 für ein Extraordinariat der Handelshochschule in Königsberg vorgeschlagen worden, lehnte er 1932 eine Berufung an die Universität von Berkeley ebenso ab wie jene an das Institut für Weltwirtschaft und Seeverkehr in Kiel. Abgesehen von seinen Funktionen an der Universität und am Institut für Konjunkturforschung war er auch Mitglied der Völkerbund-Kommission der Experten für Preisstatistik sowie der staatswissenschaftlichen Prüfungskommission und war ab 1932 als Berater der Österreichischen Nationalbank, ab 1936 auch des Bundesministeriums für Handel tätig. Als Privatdozent erhielt er 1935 den Titel eines "ao. Prof." verliehen.
Als im März 1938 deutsche Truppen in Österreich einmarschierten und Österreich wenig später Teil des "Dritten Reiches" wurde, hielt sich Morgenstern anlässlich einer Vortragsreise in den USA auf. Angesichts der zu erwartenden Verfolgung fasste er nun den Entschluss, in den USA zu verbleiben und nicht mehr nach Österreich zurückzukehren. Indessen hatte seine Lehrbefugnis mit Erlass des Unterrichtsministeriums vom 22. April 1938 "bis auf weiteres zu ruhen" Fünf Monate später widerrief das Ministerium endgültig seine venia legendi, wodurch Morgenstern auch aus der staatswissenschaftlichen Staatsprüfungskommission ausgeschlossen war.
In den USA erlangte Morgenstern noch im Jahr seiner Emigration einen Lehrauftrag an der Princeton University, an welcher er 1944 zum o. Prof. aufstieg. Im gleichen Jahr, 1944, veröffentlichte er gemeinsam mit John von Neumann eines seiner maßgeblichsten Werke – "Theory of games and economic behavior" (dt.: "Spieltheorie und wirtschaftliches Verhalten", 1961). Die Spieltheorie war für Morgenstern jene Interdisziplin, die zur optimalen Lösung wirtschaftlicher, sozialer, politischer wie auch privater Konflikte beitragen könnte. Durch die Mitentwicklung und die praktische Anwendung der Spieltheorie sollte Morgenstern in den folgenden Jahren auch wesentliche Bedeutung erlangen. Sie gilt als erste konfliktlösende Theorie der Sozialwissenschaften, derzufolge die Stabilität einer Gesellschaft aus den verschiedenen Entscheidungsprozessen vieler Entscheidungsträger resultiert.
Seine Verdienste um die Spieltheorie brachten Morgenstern auch einige Beratertätigkeiten ein: So beriet er ab 1948 die Rand Corporation, von 1955 bis 1957 die Atomenergiekommission der USA und von 1959 bis 1960 das Weiße Haus. Maßgeblichen Einfluss hatte er etwa im Rahmen der Beendigung des Korea-Konflikts, als sich eine Regierung erstmals in der Geschichte Rat bei Spieltheoretikern einholte. Die Wissenschaftler um Morgenstern erstellten eine 3000-mal-3000-Strategienmatrix, welche die spieltheoretische Lösung des Konflikts erfasste und berechneten auf einem ENIAC-Computer die ideale Lösung. Truman entschloss sich in der Folge dafür, den Yalu-Fluss nicht zu überschreiten und feuerte den damaligen Oberbefehlshaber MacArthur. Kennedy ernannte später Morgenstern zum Berater für strategisch-militärische Entscheidungen (Polaris-Atomstrategie der Abschreckung).
Morgenstern, der von 1940 bis 1959 im National Bureau for Economic Research mitarbeitete, kehrte 1956 kurzzeitig nach Europa zurück, um als Gastprofessor in Münster zu lehren. Eine weitere Gastprofessur hatte er 1959/60 in Basel inne. In diesem Zeitraum bemühte sich Morgenstern gemeinsam mit Paul Felix Lazarsfeld auch um die Gründung des späteren "Instituts für Höhere Studien" (IHS) in Wien, wobei er ab 1960 Mitglied des wissenschaftlichen Beirates war. Nach dem Vorbild Princetons hatte er ein zweites "Institut for Adavanced Studies" vor Augen. Die Gründung des Instituts ist v. a. vor dem Hintergrund der prekären Situation der (empirischen) Sozialwissenschaften im Österreich der späten 1950er Jahre und den zeitgleichen Bemühungen der Ford Foundation um die Stärkung derselben in Europa bedeutend. Angesichts parteipolitischer Interessen, der Angst, das eigene Lager sei im Institut nicht entsprechend vertreten, aber auch parteiinterner Diskussionen verlief der Konstituierungsprozess aber äußerst schwerfällig und chaotisch. Morgenstern fungierte im Rahmen der Verhandlungen, ab 1961, als Verbindungsmann zur ÖVP, auch weil einer der maßgeblichen Verhandler auf VP-Seite Reinhard Kamitz, Morgensterns Nachfolger als Leiter des Instituts für Konjunkturforschung war.
Im Herbst 1963 folgte schließlich die Eröffnung – dem Proporz entsprechend mit zwei Direktorenposten. Gastprofessuren renommierter Wissenschaftler wie James Coleman, Karl Menger oder Gerhard Tintner standen äußerst fragwürdige Zustände gegenüber. So monierte etwa Coleman, dass AssistentInnen nach Parteizugehörigkeit ausgewählt würden und diese im äußerst gut dotierten IHS mehr verdienten als UniversitätsprofessorInnen – auch bei Vorliegen anderer Vollzeitbeschäftigungen. Erst Ende der 1960er, nach Verabschiedung von Ernst Florian Winter als Direktor 1968 und der Ernennung des Statistiker Gerhart Bruckmann, sei man, so Fleck, "den ursprünglichen Ideen der amerikanischen Gründer, Finanziers und Ratgeber wenigstens nahegekommen". Morgenstern hatte das Institut ab September 1965 für ein Jahr geleitet, und blieb auch danach bis zu seinem Tod 1977 Beiratsmitglied. Nach seiner Zeit als IHS-Direktor war er wissenschaftlicher Berater und Mitarbeiter am österreichischen Institut für Konjunkturforschung.
1970 emeritierte er schließlich in Princeton, woraufhin sich nicht weniger als sechs amerikanische Prestige-Universitäten um ihn bemühten – allerdings keine aus Österreich. Morgenstern, der gerne nach Österreich zurückgekehrt wäre – etwa als Honorarprofessor –, lehrte somit noch sechs Jahre als Distinguished Professor in Game Theory and Mathematical Economics an der New York University.
Neben der Mitentwicklung der genannten Spieltheorie hatte Morgenstern u. a. bewiesen, dass die maximale Wachstumsrate einer kapitalistischen Wirtschaft dem Zinnssatz entspreche. Aber auch durch seine Analyse ökonomischer Zeitreihen, die sich im Buch "Über die Genauigkeit wirtschaftlicher Beobachtungen" (1950) finden, hatte er auf sich aufmerksam gemacht. Bedeutung erlangte er auch durch seine Analysen ökonomischer Zeitreihen, die sich in seinem Buch "Über die Genauigkeit wirtschaftlicher Beobachtungen" (1950) finden. Erwähnenswert sind zudem seine Anwendung der Spektralanalyse auf ökonomische Zeitreihen wie auch seine "Random Walk Hypothesis" – eine Risikoanalyse, die die Wahrscheinlichkeit bzw. Unsicherheit bei Entscheidungen berücksichtigte. Morgenstern blieb zeitlebens der österreichischen Schule der Nationalökonomie verbunden.
Er war Mitherausgeber der "Zeitschrift für Nationalökonomie" (ab 1956), der "Zeitschrift für Wahrscheinlichkeitstheorie (ab 1962), der Zeitschrift "Decision and Control" (ab 1965), des "International Journal of Game Theory" (ab 1970). Weiters war er von 1955 bis 1970 Direktor des Economic Research Program, seit 1958 Präsident der Vereinigung Mathematica und Mitglied mehrerer anderer wissenschaftlicher Gesellschaften. 1969/70 beriet er auch die NASA. Die Universitäten Mannheim (1957), Basel (1960) und Wien (1965) verliehen ihm das Ehrendoktorat. In seiner Wiener Zeit vor dem "Anschluss" war er auch Vorstandsmitglied der "Nationalökonomischen Gesellschaft" gewesen.
Am 27. November 2012 wurde der Platz vor dem für die Fakultäten für Wirtschaftswissenschaften und Mathematik und Statistik adaptierten Gebäude - Universität Wien Rossau - in Wien 9 nach ihm "Oskar-Morgenstern-Platz" benannt (Rossauer Lände 3). Anlässlich der Übersiedelung der Fakultät für Wirtschaftswissenschaften an die neue Adresse verlieh diese erstmals im Oktober 2013 die neugeschaffene "Oskar Morgenstern-Medaille".
Archiv der Universität Wien, Rektoratsakten GZ 677-1937/38.
Archiv der Universität Wien, Senat S 199.3.7 (Morgenstern, Oskar: Verleihung des Ehrendoktorats).
Österreichisches Staatsarchiv/Allgemeines Verwaltungsarchiv, Personalakt Morgenstern.
Zuletzt aktualisiert am 28.10.2023 - 17:13
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