Astronomie | Die Wiener Universitätssternwarte im Wandel der Zeit

1755–1900

Schon seit der Gründung der Universität Wien im Jahre 1365 kam der Sternkunde hier eine besondere  Bedeutung zu. Größen der Astronomiegeschichte wie z.B. Heinrich von Langenstein, Georg Peuerbach, Johannes Regiomontanus und Johannes von Gmunden arbeiteten und wirkten an der noch jungen Universität und verhalfen ihr zu einer ersten Blüte.
Eine der wichtigsten Beschäftigungen dieser Gelehrten war, den Lauf der Gestirne zu bestimmen um dadurch zu einer Verbesserung des Kalenders zu gelangen. Besonders Peuerbach, der durch seine Reisen nach Italien mit den antiken Schriften in Kontakt kam und diese auch in Wien bekannt machte, leistete dieser Wissenschaft große Dienste. So führte er die bis dahin nicht bekannten Winkelfunktionen im Abendland ein. Doch erst sein Schüler Regiomontanus vollendete das Werk seines Lehrers.

Obwohl schon in den Frühzeiten der Universität große Leistungen auf dem Gebiete der Astronomie erbracht wurden, vergingen fast 400 Jahre, bevor die Alma Mater Vindobonensis 1755 eine Sternwarte bekam.

Marinonis Privatsternwarte

Die erste Sternwarte in Wien begründete der aus Udine stammende kaiserliche Mathematiker Johan Jakob de Marinoni (1676-1755). 1730 errichtete er auf seinem Privathaus in der Mölkerbastei einen zweistöckigen Turm, den er als Observatorium einrichtete. Sogar die Instrumente wurden in seinem Privathaus gefertigt. Die Mittel für diese Sternwarte stellte zum Teil Marinoni selbst zur Verfügung.

Der Astronomische Turm der Jesuiten

Wenige Jahre später, im Jahre 1733, entschlossen sich die Jesuiten an der Ecke der heutigen Postgasse/Bäckergasse ebenfalls eine eigene Sternwarte in Form eines 45 m hohen Turmes zu erbauen. Vor allem der regen Sammlertätigkeit dieses Ordens verdankt noch die heutige Universitätssternwarte einen Großteil ihres historischen Buchbestandes.

Die erste Universitätssternwarte

Nachdem Marinoni im Jahre 1755 verstorben war, fielen seine Instrumente dem Herrscherhaus zu und Maria Theresia schenkte sie der Universität. Dies gab den Anlass, auf dem fast fertigen Universitätsgebäude am heutigen Ignaz-Seipel-Platz (Akademie der Wissenschaften) eine Sternwarte zu errichten. Die Planung übernahmen die Jesuiten.

Bereits der erste Sternwartedirektor, der Jesuit Maximilian Hell (1791-1792) verstand es, die neue Sternwarte hervorragend zu nutzen. Durch seine hervorragenden Beobachtungen und durch die Herausgabe eines der ersten astronomischen Jahrbücher (Ephemerides Astronomicae, 1757–1806) genossen Hell und die Sternwarte in Wien hohes internationales Ansehen. Seine bedeutendste Hinterlassenschaft sind die Arbeiten über die beiden Venusdurchgänge 1761 und 1769. Den ersteren beobachtete er von Wien aus, den zweiten, als nördlichster Beobachter, im nordnorwegischen Vardø. Dies lieferte in Verbindung mit anderen Beobachtungen die genaueste Sonnenentfernung für Jahrzehnte.

Nach dem Tode Hells 1792 folgte ihm Franz de Paula Triesnecker (1745-1817) als Direktor der Universitätssternwarte. Dieser beschäftigte sich vor allem mit höherer Geodäsie. Unter ihm gelang eine genaue Vermessung Niederösterreichs. Zahlreiche Publikationen Triesneckers zeugen von seiner hohen Kunst der Triangulation.

Die Situation im späten 18. und frühen 19. Jahrhundert

Der Turm auf dem Universitätsgebäude, der das Observatorium beherbergte, war eine Holzkonstruktion und erwies sich für genaue Messungen als zu instabil. Insbesonders Erschütterungen durch Pferdefuhrwerke und Windlast schränkten die astronomische Messgenauigkeit stark ein. So wurden schon im frühen 19. Jahrhundert Versuche angestellt, die Sternwarte an einen günstigeren Standort zu verlegen.

Der damalige Adjunkt Johann Tobias Bürg (1766-1835) entwarf einige Gutachten zum Bau einer neuen Sternwarte. Diese waren an den Pläne der Gothaer Sternwarte, die Franz Xaver von Zach (1754-1832) entwarf, angelehnt. Tobias Bürg beschreibt darin explizit den Bau und die Ausrüstung eines neuen Observatoriums und die Voraussetzungen für einen ruhigen Standort und die Verkehrsanbindungen der Bediensteten. Diese Gutachten befinden sich im Archiv der heutigen Universitätssternwarte.

Doch nicht nur um den Bau einer neuen Sternwarte erwarb sich Tobias Bürg Verdienste. Er entwickelte auch eine komplexe Bewegungstheorie des Mondes – nach Auswertung von über 3000 Mondbeobachtungen – und errang dadurch, neben dem Franzosen Alexis Bouvard (1767-1843), den ersten Preis eines Wettbewerbes des Pariser Institut National (1799).

1808 erlitt Tobias Bürg bei einer astronomischen Beobachtung einen Gehörsturz. Dieser Umstand brachte ihn um die wohlverdiente Nachfolge als Direktor der Wiener Universitätssternwarte. Dennoch leitete er diese nach Triesneckers Tod (1817) interimistisch für ein Jahr.

Die Ära Littrow

Im Jahre 1819 betrat ein neuer Mann das Podium der Astronomie in Wien. Johann Joseph von Littrow (1781-1840), der sich autodidaktisch in Astronomie und Mathematik gebildet hatte, kam 1819 nach Wien und übernahm hier eine Professur der höheren Mathematik, zugleich wurde er zum Direktor der Universitätssternwarte ernannt. Von Beginn an versuchte Littrow den Bau einer neuen Sternwarte voranzutreiben. Er reorganisierte den Betrieb der vorhandenen Universitätssternwarte und arbeitete eng mit Simon Plößl, einem Wiener Optikermeister, zusammen. Littrows Entwürfe einer neuen Sternwarte wurden seinem interimistischen Vorgänger Tobias Bürg zur Begutachtung vorgelegt. Vor allem die Standortfrage und die Ausstattung des neuen Gebäudes gaben Anlass zu heftigem Disput.
Erst seinem Sohn Carl Ludwig Littrow (1811-1873) gelang es in den 1870er Jahren, die Pläne seines Vaters umzusetzen. Die beiden Architekten Fellner und Helmer, die vor allem durch den Bau von Theater- und Opernhäusern bekannt geworden sind, wurden beauftragt, den Bau zu errichten. 1874 erfolgte die Grundsteinlegung. Mit einer Länge von 101 m und einer Breite von 73 m ist sie bis heute das größte baulich geschlossene Sternwartengebäude Europas. Littrow konnte die Fertigstellung nicht mehr erleben, da er 1877 verstarb. Der vollständige Umzug des Instituts für Astronomie war erst 1882 abgeschlossen. Die feierliche Eröffnung fand am 5. Juni 1883 in Anwesenheit von Kaiser Franz Joseph I. statt.

Zu jener Zeit beherbergte die Universitätssternwarte das größte Linsenteleskop der Welt mit einem Linsendurchmesser von 68 cm und einer Brennweite von 10,5m. Heute noch zählt der Große Refraktor zu den zehn größten je gebauten Linsenteleskopen.

Bedeutung der Universitätssternwarte Wien

Schon unter Maximilian Hell war der gute Ruf der Wiener astronomischen Forschung begründet worden. Aber nicht nur ihm, sondern auch so großen Persönlichkeiten wie Johann Joseph Littrow, Theodor Egon Ritter von Oppolzer und  Johann Palisa bot die Universitätssternwarte eine würdige Wirkungsstätte. Zahlreiche auch heute noch bekannte Bücher wurden in Wien verfasst, etwa Littrows Wunder des Himmels, Oppolzers Canon der Finsternisse sowie die Sternkarten von Johann Palisa (Palisa-Wolf-Karten).

Quellen: Archiv des Instituts für Astrophysik (Türkenschanzstrasse 17, 1180 Wien); Archiv der Universität Wien

Druckversion

Günter Bräuhofer, Thomas Posch

Last edited: 10/31/21

Ja