Die Fakultätsbilder von Gustav Klimt im Festsaal der Universität Wien
Die Decke des großen Festsaales im Hauptgebäude der Universität Wien schmücken heute unter anderem drei große Gemälde des berühmten Jugendstilmalers Gustav Klimt. Doch dabei handelt es sich um Reproduktionen, denn als Klimt seine Bilder um die Jahrhundertwende der Universität Wien präsentierte, kam es zu massiver öffentlicher Kritik, die zu einem der größten Kunstskandale des 20. Jahrhunderts führte.
Ausgangspunkt und Beauftragung von Klimt und Matsch
Bereits der Architekt des Hauptgebäudes der Universität Wien am Ring, Heinrich von Ferstel, hatte für den großen Festsaals große Deckengemälde vorgesehen, die nach der Eröffnung des Hauptgebäudes 1884 jedoch zunächst aus Kostengründen nicht realisiert wurden.
Erst zehn Jahre später, am 4. September 1894, erteilte das Unterrichtsministerium den beiden Künstlern Franz Matsch und Gustav Klimt den Auftrag, die Ölgemälde anzufertigen. Die Maler, die gemeinsam die Künstler-Compagnie bildeten, hatten in den Jahren zuvor bereits prominente Deckengemälde für die Theater in Reichenberg, Karlsbad und Fiume sowie für die Wiener Hermesvilla und das Burgtheater entworfen und umgesetzt.
Die zuständige Artistische Kommission der Universität Wien plante für den Deckenschmuck des Festsaales ein zentrales Gemälde von Matsch (Triumph des Lichtes über die Finsternis), das von vier kleineren Bildern eingerahmt werden sollte, die in allegorischer Weise die vier Fakultäten der Universität darstellen sollten: Matsch sollte das Fakultätsbild Theologie übernehmen und Klimt die drei anderen Fakultätsbilder (Philosophie, Medizin, Jurisprudenz). Für die Gewölberundungen waren 12 „Zwickelbilder“ vorgesehen, die personifizierte Wissenschaften zeigen sollten – jeweils sechs von Matsch und Klimt.
Entwürfe und Wandel von Klimts Stil
Für die Deckengemälde der Universität Wien hatte Matsch bereits 1893 erste Entwürfe vorgelegt, Klimt stellte 1894 einen ersten Entwurf für eines der „Fakultätsbilder“ vor, der ebenfalls Anklang fand.
Klimt überarbeitete seine Bilder mehrmals – während dieser Jahre vollzog sich der Wandel von Klimts Stil vom Historismus hin zum Symbolismus. Damit entfernte er sich zunehmend von den genehmigten Entwurfsskizzen sowie vom Kunst- und Moralverständnis der Auftraggeber. Matsch und Klimt legten ihre Entwürfe 1898 der Kunstkommission des Ministeriums und der Artistischen Kommission der Universität Wien vor. Während Matschs Werke positiv beurteilt wurden, lehnten zahlreiche Professoren Klimts Entwürfe aufgrund des Stils und der Darstellung nackter Figuren ab.
Skandal um Klimts Fakultätsbilder
Die erste Fassung des Fakultätsbildes Philosophie präsentierte Gustav Klimt bei der 7. Ausstellung der Secession 1900 der Öffentlichkeit. Das Gemälde spiegelte für Klimt die Synthese seiner eigenen Weltanschauung wider. Im Katalog zur ersten Secession in Wien bemerkte der Künstler:
„Links Figurengruppe: das Entstehen, das fruchtbare Sein, das Vergehen. Rechts: die Weltkugel als Welträtsel, Unten auftauchend eine erleuchtende Gestalt: das Wissen.“
Katalog zur ersten Secession in Wien, Wien 1898, zit. nach: Gilles Néret, Klimt, Köln 2016, S. 23.
Mit diesem ebenso wie mit seinen folgenden Gemälden schuf Klimt statt traditionellen allegorischen Darstellungen neuartige symbolistische Werke, die eine pessimistische Sicht auf die Wissenschaften zum Ausdruck brachten. Klimt zögerte nicht, tabuisierte Themen wie z.B. Krankheit, körperlichen Verfall, Armut in all ihrer Hässlichkeit zu behandeln, während es bis dahin Usus war, die Realität zu veredeln, zu beschönigen und zu idealisieren.
Massive öffentliche Kritik war die Folge und besonders die Professoren der Universität Wien formierten sich als vehemente Gegner: Insgesamt 87 Mitglieder des Professorenkollegiums unterzeichneten eine Petition an Unterrichtsminister Wilhelm von Hartel, in der sie gegen die Anbringung des Gemäldes in der Universität auftraten. Unterstützt wurden die Professoren auch von dem bekannten Publizisten Karl Kraus. Das Ministerium ließ die Petition unbeantwortet, doch meldeten sich in den Medien auch zahlreiche Befürworter Klimts (neben den Secessionisten auch Schriftsteller Hermann Bahr und Kunstkritiker Ludwig Hevesi) öffentlich zu Wort und verteidigten Klimts Werk. Im selben Jahr – 1900 – gewann die Philosophie die Goldmedaille auf der Pariser Weltausstellung.
Mit der 1901 in der Secession präsentierten Allegorie der Medizin provozierte Gustav Klimt erneut einen Kunstskandal, der neben Angriffen auf den Unterrichtsminister sogar in einer Anfrage im Abgeordnetenhaus mündete. Klimt gestaltete das Gemälde im Sinne seines Verständnisses des Lebens und seiner erotischen Ausdrucksformen als Kampf zwischen Eros und Thanatos.
„Der Strom des Lebens führt die vom Schicksal fortgerissenen Leiber mit sich. In ihm sind alle Lebensphasen von der Geburt bis zum Tod vereinigt, der Ekstase oder dem Schmerz unterworfen.“
Katalog zur ersten Secession in Wien, Wien 1898, zit. nach: Gilles Néret, Klimt, Köln 2016, S. 27f.
Klimts künstlerische Umsetzung musste auf die Universitätsprofessoren erniedrigend wirken, da sie die Ohnmacht der Medizin gegenüber unkontrollierbaren Kräften des Schicksals betonte, anstatt sie als heilbringende Macht zu feiern.
Ein Jahr nachdem Gustav Klimt seinen ebenfalls kontrovers diskutierten Beethovenfries präsentiert hatte, wurde 1903 auch das letzte der drei Auftragswerke für die Universität Wien – die Jurisprudenz – erstmals im Künstlerhaus gezeigt. Unter starker Abweichung von dem ursprünglich vorgelegten Kompositionsentwurf hatte Klimt dieses Gemälde noch aggressiver gestaltet und spielte auch augenscheinlich auf die Forschungen Sigmund Freuds zu Sexualität und zum Unbewussten an. Das Bild zeigt einen Verurteilten in der Gewalt dreier Furien – Wahrheit, Gerechtigkeit und Gesetz. Die Furien sind als von Schlangen umgebene Eumeniden dargestellt, die ihr Opfer mit der tödlichen Umarmung eines Kraken bestrafen.
Die Jurisprudenz wurde in der Öffentlichkeit ebenso feindlich aufgenommen und die Auftraggeber waren schockiert ob der Hässlichkeit und Nacktheit der dargestellten Figuren. Klimt wurde der „Pornografie“ und eines „Übermaßes an Perversion“ beschuldigt.
1903 waren die vier „Fakultätsbilder“ erstmals gemeinsam zu sehen. Die Artistische Kommission der Universität stand Klimts Bildern kritisch gegenüber, beanstandete jedoch auch die mangelnde Qualität von Matschs Gemälde Theologie. Vor allem passten die Bilder der beiden Künstler aus Sicht der Kommission nicht zueinander. Der Gegensatz des Bildes von Matsch und jenen Klimts war unübersehbar und stand symbolisch für die gleichzeitige Auflösung der Arbeitsgemeinschaft Klimt-Matsch.
Das Unterrichtsministerium als Auftraggeber untersagte Klimt 1904, die Fakultätsbilder auf der Weltausstellung in St. Louis auszustellen. Als Reaktion gab er die Beauftragung für die sechs Zwickelbilder 1904 an Matsch ab.
Zurücklegung des Auftrags
Eine probeweise Anbringung der vier Fakultätsbilder im Festsaal wurde 1905 aus Kostengründen abgelehnt und schließlich nur die Anbringung des großen Mittelbildes sowie der Zwickelbilder von Matsch genehmigt. Daraufhin teilte Gustav Klimt dem Ministerium im April 1905 mit, dass er von dem gesamten Auftrag zurücktrete und auf sein Honorar verzichte. In einem weiteren Schreiben erläuterte Klimt seine Beweggründe und übte Kritik an der staatlichen Kunstförderung und Einflussnahme auf die künstlerische Freiheit:
„In zahllosen Andeutungen gab mir das Ministerium zu verstehen, dass ich für dasselbe zu einer Verlegenheit geworden sei. Nun gibt es für einen Künstler […] keine peinlichere Lage, als für einen Auftraggeber, der nicht mit dem Herzen und mit dem Verständnis voll auf der Seite des Künstlers steht, Werke zu schaffen und Geld von ihm dafür zu nehmen. Mir kann so etwas absolut nicht passen […] Seit dem unglückseligen ‚Staatsauftrag‘ hat man sich in Wien gewöhnt, für jedes meiner sonstigen Werke den Minister v. Hartel verantwortlich zu machen. Und allmählich scheint der Unterrichtsminister sich wirklich eingebildet zu haben, er trage eine solche Verantwortung. Daher werde ich bei vielen Ausstellungen in unerhörter Weise perlustiert […] durch den Schritt, welchen ich jetzt unternehme, überhebe ich ihn ein für allemal der merkwürdigen Protektorschaft, welche mir da erwachsen ist. Ich werde auch niemals, unter diesem Ministerium gewiß nicht, bei einer offiziellen Ausstellung mittun, sei es denn, meine Freunde zwängen mich dazu. Genug der Zensur. Ich greife zur Selbsthilfe. Ich will loskommen. Ich will aus allen diesen unerquicklichen, meine Arbeit aufhaltenden Lächerlichkeiten zur Freiheit zurück. Ich lehne jede staatliche Hilfe ab, ich verzichte auf alles.“
Das Ministerium, das dem Rücktritt Klimts zunächst ablehnend gegenüberstand, willigte schließlich nach einer neuerlichen öffentlichen Debatte ein. Die bereits bezogenen Vorschüsse auf sein Honorar in Höhe von 30.000 Kronen zahlte er mithilfe der Unterstützung des Wiener Industriellen und Kunstsammlers August Lederer und seiner Frau Serena zurück. Die Philosophie gelangte damit in den Besitz der Lederers. Später kaufte das Paar auch die Jurisprudenz sowie den Beethovenfries. Gustav Klimt übernahm danach keine weiteren öffentlichen Aufträge mehr.
Im Juni 1905 wurden das Mittelbild sowie die Zwickelbilder von Matsch im Festsaal angebracht. Der Auftrag an Matsch, auch die restlichen drei Fakultätsbilder zu gestalten, wurde nach Vorlage der Erstentwürfe von der Universität Wien zurückgezogen. Die vier dafür vorgesehenen Felder an der Decke blieben frei.
Die Endfassungen von Klimts Fakultätsbildern wurden 1907 in der Galerie Miethke in Wien und in der Galerie Keller & Reiner in Berlin gezeigt. Die Medizin gelangte später in den Besitz der „Österreichischen Galerie“. 1928 fand anlässlich Klimts 10. Todestag die „Klimt-Gedächtnis-Ausstellung“ in Wien statt, bei der die drei Fakultätsbilder erneut gemeinsam gezeigt wurden.
„Arisierung“ und Vernichtung der Fakultätsbilder
Während sich das Fakultätsbild Theologie von Franz Matsch bis heute im Besitz der Universität Wien befindet, existieren von den drei Fakultätsbildern von Klimt heute nur noch einige Entwürfe und Schwarz-Weiß-Fotografien der Originale.
Nach dem „Anschluss“ Österreichs 1938 wurde die Familie Lederer, die die zwei Fakultätsbilder Philosophie und Jurisprudenz besaß, aufgrund ihrer jüdischen Wurzeln von den nationalsozialistischen Machthabern verfolgt und ihr Besitz – darunter zehn Klimt-Gemälde – 1939 konfisziert und „arisiert“.
Anfang 1943 wurden die Bilder in der von Reichstatthalter Baldur von Schirach initiierten Klimt-Retrospektive in der Secession gezeigt und anschließend für die Dauer des Krieges gemeinsam mit weiteren Bilder und Zeichnungen in das Schloss Immendorf in Niederösterreich ausgelagert. Auf Anregung von Universitätsprofessor Richard Meister und Rektor Eduard Pernkopf „sicherte“ Baldur von Schirach die nun im staatlichen Besitz befindlichen Fakultätsbilder Philosophie und Jurisprudenz für die Universität und kaufte sie mit ministeriellen Mitteln.
Das als Kunstdepot genutzte Schloss Immendorf wurde am 8. Mai 1945 von abziehenden SS-Einheiten in Brand gesetzt, um den nahenden sowjetischen Truppen keine Kunstwerke zu hinterlassen, und brannte mit den dort gelagerten Kunstwerken völlig aus.
Rekonstruktion der Deckengemälde im großen Festsaal
Im Rahmen der Ausstellung „Die nackte Wahrheit – Klimt, Schiele, Kokoschka und andere Skandale“ realisierte das Leopold Museum in Kooperation mit der Universität Wien im Mai 2005 die Anbringung des Bildensembles in Form von Schwarz-Weiß-Reproduktionen an der Decke des großen Festsaales der Universität Wien. Die Fakultätsbilder waren nach Ablehnung durch die Artistische Kommission der Universität nie an ihrem ursprünglichen Bestimmungsort zu sehen gewesen. Im Rahmen der Aktion wurde auch das einzige im Original erhaltene Fakultätsbild Theologie von Franz Matsch restauriert.
2021 wurden die verlorenen Fakultätsbilder Klimts im Zuge des digitalen Großprojekts „Klimt vs. Klimt“ des Google Arts and Culture Department mit moderner Technologie in Farbe rekonstruiert.
Last edited: 10/18/24