Das Rektorserinnerungszeichen
Das Rektorserinnerungszeichen (REZ) wurde 1958 für alle ehemaligen Rektoren nach 1945 begründet, um diese bei akademischen Feiern sichtbar zu schmücken. Es handelt sich explizit um keine Ehrung oder Auszeichnung. Die Medaille mit dem Porträt des Kaisers Franz I. auf einem purpurroten Malteserkreuz ist der goldenen Amtskette des Rektors nachgebildet, ist jedoch im Unterschied zu dieser lediglich vergoldet und an einer einfacheren Kette befestigt. Das REZ wird bis heute im Rahmen der Inaugurationsfeiern verliehen: Nachdem der abtretende Rektor seinem Nachfolger die Rektorskette übergeben hat, überreicht dieser ihm im Gegenzug das Rektorserinnerungszeichen.
Um das REZ 1961 an den ehemaligen Rektor der NS-Zeit, Fritz Knoll, zu verleihen, wurde eigens eine Ausnahmeregelung in die Statuten eingefügt.
Begründung des Rektorserinnerungszeichens 1958
Die Initiative für die Schaffung dieses Erinnerungszeichens ging von dem 1957/58 amtierenden Rektor Erich Schenk aus. Auf seinen Vorschlag hin traf der Akademische Senat am 15. März 1958 mit 14 gegen 2 Stimmen den Beschluss zur Begründung. Schenk hatte zeitlich Druck gemacht, beabsichtigte er doch, die ersten sieben in Frage kommenden Altrektoren der Universität Wien bereits vor dem nächsten feierlichen Anlass – der Ehrendoktoratsverleihung an Eugène Tisserant, die für 23. April terminisiert war – mit diesem sichtbaren Zeichen zu schmücken. Aufgrund des Zeitdrucks hatte Schenk seine Vorstellungen zur Gestaltung des Rektorserinnerungszeichens – eine Nachbildung der Amtskette des Rektors an einem rot-weiß-roten Seidenband – bereits vorab mit dem Medailleur Benno Rost besprochen und konnte die Anfertigung umgehend in Auftrag geben.
Bereits am 19. April 1958 konnte Rektor Schenk in einer kleinen Feier in den Räumen des Rektorats die ersten der neuen Rektorserinnerungszeichen an die sieben noch lebenden Altrektoren der Nachkriegszeit verleihen: Wolfgang Denk (Rektor 1948/49), Richard Meister (Rektor 1949/50), Johannes Gabriel (Rektor 1950/51), Alfred Verdroß-Droßberg (Rektor 1951/52 und 1952/53), Leopold Schönbauer (Rektor 1953/54), Karl Johann Jellouschek (Rektor 1955/56) sowie an Schenks unmittelbaren Vorgänger Johann Schima (Rektor 1956/57).
„In seiner Ansprache gedachte der Rektor des großen Verlustes, welchen die Universität durch das vorzeitige Ableben der Rektoren Präs. Prof. Dr. Ludwig Adamovich, Prof. Dr. Johann Sölch, Prof. Dr. Wilhelm Czermak und Prof. Dr. Johann Radon erlitten hat, und begründete dann die Schaffung des Erinnerungszeichens, die nunmehr aktuell geworden ist, nachdem eine Etappe des Wiederaufbaues an der Universität [nach den Zerstörungen des Zweiten Weltkriegs, Anm.] zu Ende geführt werden konnte und nun größere Projekte, wie die des Institutsgebäudes und der Kliniken in Angriff zu nehmen sind.“
(Notiz, 21.4.1958, in AUW, GZ 255 ex. 1957/58)
Im Nachklang der Veranstaltung dankte Rektor Schenk dem Medailleur für die termingerechte Erstellung und versicherte, „daß die mit diesem Erinnerungszeichen bedachten Herren über die Ausführung entzückt waren“ und „daß das von Ihnen geschaffene Ehrenzeichen die Träger im Talar ganz außerordentlich schmückt“.
Statuten
Parallel hatte Rektor Schenk den Universitätsarchivar Franz Gall beauftragt, einen Vorschlag für Statuten für das Rektorserinnerungszeichens zu entwerfen. Die Juristen Johann Schima und Walter Antoniolli, die um die Begutachtung des Entwurfes gebeten wurden, äußerten keine grundsätzlichen Bedenken, Schima empfahl aber aufgrund der Verleihung an alle Rektoren „nicht von ‚Auszeichnung‘ zu sprechen“ bzw. Antoniolli merkte an, dass auch bei späterer Erweisung einer „Unwürdigkeit“ der Geehrten keine Aberkennung erfolgen könne. Dementsprechend wurde Galls Vorschlag, in dem noch von einer Würdigung der „Verdienste ehemaliger Rektoren“ die Rede war, abgeändert. Auch wurde die ursprüngliche Kann-Bestimmung in eine grundsätzliche Regelung für eine automatische Verleihung ohne Notwendigkeit eines weiteren Beschlusses geändert:
„§ 3. Das REZ wird jedem ehemaligen, nach 1945 inaugurierten oder in Zukunft aus dem Amt scheidenden Rektor der Universität verliehen, und zwar am Tage der Amtsübergabe an seinen Nachfolger durch denselben.“
(Statuten des Rektoserinnerungszeichens der Universität Wien, Archiv der Universität Wien, Akademischer Senat, S 230)
In § 5 der Statuten wurde festgehalten, dass das REZ der Amtskette des Rektors von 1805 – ein Malteserkreuz mit mittig platzierter Medaille, die das Porträt Kaiser Franz I. von Österreich trägt, darüber eine stilisierte österreichische Kaiserkrone – nachgebildet ist, es aber aus Bronze und lediglich vergoldet ist und an einem weißen Seidenband, in das zwei dünne weinrote Streifen eingewebt sind, getragen wird.
Laut § 14 der Statuten ist das REZ „bei akademischen Feiern in jedem Falle sichtbar zu tragen“. Obwohl es sich offiziell um keine Auszeichnung oder Ehrung handelt, sollten die Träger des Erinnerungszeichens bei der Verleihung auch eine Urkunde erhalten und in das Ehrenbuch der Universität Wien eingetragen werden. Auf Wunsch des Senats wurde in die Statuten die Klausel eingefügt, dass „nach dem Ableben eines REZ-Trägers […] die Zurückstellung an das Rektorat durch die Erben zu erfolgen“ habe (§ 11).
Die finalisierten Statuten wurden am 27. Oktober 1958 vom Senat beschlossen. Auf Basis eines Vorschlags von Archivar Gall wurden im Dezember 1958 auch die Verleihungsurkunden des REZ in lateinischer Sprache erstellt und an die acht bereits mit dem REZ bedachten Altrektoren übermittelt – darunter auch der Initiator Erich Schenk, der nach Ende seiner Amtszeit im November 1958 das REZ erhalten hatte.
Umgestaltung und Statutenänderung 1959
Unter dem nachfolgenden Rektor Erwin Schneider erfolgte 1959 eine geringfügige Umgestaltung des Rektorserinnerungszeichens: Anstatt eines rot-weiß-roten Bandes sollte das REZ nun an „einer aus 28 sechseckigen oblongen Gliedern bestehenden silbernen, feuervergoldeten Kette von 73 cm Länge“ getragen werden. Im Zuge der dafür nötigen Statutenänderung, die der Senat am 24. Oktober 1959 beschloss, wurde auch die Verleihungsroutine weiter konkretisiert. In § 3 wurde nun explizit festgehalten, dass die Überreichung „im Rahmen der Inaugurationsfeier durch seinen Nachfolger“ erfolgten solle. Die acht bereits verliehenen Erinnerungszeichen wurden für die Montage der neuen Ketten vorübergehend eingefordert.
Verleihung an NS-Rektor Fritz Knoll 1961
Am 27. April 1961 stand anlässlich des 50. Jahrestages der ersten Rektorenkonferenz (heute: „Österreichische Universitätenkonferenz“) eine feierliche Jubiläumssitzung an, zu der neben den amtierenden auch alle ehemaligen Rektoren Österreichs eingeladen wurden. Knapp einen Monat davor, am 25. März 1961, machte der amtierende Rektor der Universität Wien, Othmar Kühn, den Senat darauf aufmerksam, dass mit Fritz Knoll nur einer der zur Jubiläumssitzung geladenen Altrektoren der Universität Wien kein Rektorserinnerungszeichen hatte, da das REZ laut Statuten nur für nach 1945 inaugurierte Rektoren vorgesehen war und Knoll bereits 1938–1943 als Rektor amtiert hatte. Wie bereits bei der Begründung des REZ 1958 war also abermals aufgrund eines äußeren Termins Eile geboten: Kühn kündigte daher an, in der nächsten Senatssitzung den Antrag stellen, Knoll das REZ zu verleihen, und vorab alle Inhaber des Rektorserinnerungszeichens sowie Senatsmitglieder zu befragen – „bei einer einzigen Nein Stimme […] werde er seinen Antrag zurückziehen“.
Vorausschauend beauftragte Rektor Kühn wieder Universitätsarchivar Franz Gall, einen Entwurf für die notwendige Statutenänderung auszuarbeiten. Dieser schlug vor, aus dem besagten § 3 lediglich den Passus „nach 1945 inaugurierten“ zu streichen, gab jedoch zu bedenken, dass dies unbedachte Folgen haben könnte:
„Gleichzeitig erlaube ich mir Ew. Magnifizenz auf einen gewissen politischen Aspekt der Angelegenheit hinzuweisen. Die Einleitungsformel der Statuten besagt eindeutig, daß das REZ ein Ehrenzeichen des ‚neuen Österreich‘ sein soll. Es steht daher zu befürchten, daß gegen eine Verleihung an Prof. Knoll im Lehrkörper Opposition gemacht wird. […] Zu bedenken ist weiter, daß neben Prof. Knoll auch die Prof. Uebersberger und Menghin noch am Leben sind. […] Meiner bescheidenen Meinung nach wäre eine Verleihung an Knoll allein unter diesem Gesichtspunkt nicht möglich. Prof. Menghin aber ist durch seine Ministerzeit im Jahre 1938 auch heute noch in den Augen der Öffentlichkeit irgendwie belastet.“
(Archivar Gall an Rektor Kühn, 5.4.1961)
Wie auch der Dekan der Rechs- und Staatswissenschaftlichen Fakultät Roland Graßberger sah Gall außerdem in § 4, der besagte, dass „[d]ie Träger des REZ […] nach dem Senium ihrer Amtszeit als Rektoren [rangieren]“, ein potentielles Problem – demnach wäre Knoll allen anderen Altrektoren übergeordnet.
Rektor Kühn meldete Gall wenig später zurück, dass sowohl der Senat als auch alle Inhaber des Rektorserinnerungszeichens der geplanten Verleihung bereits zugestimmt hätten – die selbst gestellte Bedingung war also erfüllt. Aufgrund von Galls Bedenken betreffend weiterer potentieller Anspruchserhebungen (seitens Menghin oder Uebersberger) beschloss der Senat auf Kühns Vorschlag hin die Einfügung einer pragmatischen Ausnahmeregelung in die Statuten:
„In besonderen Fällen kann das REZ für ehrenvolle Amtsführung in schwerer Zeit an einen ehemaligen – vor 1945 inaugurierten Rektor – verliehen werden.“
(Nachtrag zu den Statuten des Rektorserinnerungszeichens der Universität Wien)
Nach der Zustimmung des Senats konnte Rektor Kühn Knoll am 24. April mitteilen:
„Der Akademische Senat hat in seiner Sitzung am 21. April 1961 einstimmig und mit einhelliger Zustimmung aller Träger dieses Ehrenzeichens beschlossen, Ihnen, verehrter Herr Kollege, das Rektorserinnerungszeichen der Wiener Universität ‚in Anerkennung Ihrer ehrenvollen und mutigen Amtsführung in schwerer Zeit‘ zuzuerkennen. […] Ich darf Sie bitten, bereits jetzt meine Glückwünsche zu dieser Anerkennung entgegenzunehmen, die umso schwerer wiegt, als dazu erst eine Statutenänderung beschlossen werden mußte.“
(Rektor Kühn an Knoll, 24.4.1961)
Die feierliche Übergabe in den Räumen des Rektorats wurde bereits für den nächsten Tag angesetzt – Knoll erhielt das REZ also noch rechtzeitig für die am 27. April stattfindende Jubiläumssitzung der Rektorenkonferenz.
Wie Linda Erker hervorhebt, wiegt aus heutiger Sicht besonders schwer, dass diese „Anerkennung“ Knolls „vom gesamten Akademischen Senat der Universität Wien getragen wurde und dass es unter all den Würdenträgern im Jahr 1961 keine einzige Person gab, die sich gegen diese Auszeichnung ausgesprochen und sie damit verhindert hätte“ (Erker 2021, S. 259). Dass niemand dagegen opponierte, ist vor allem angesichts der Tatsache überraschend, dass sich unter den 16 Senatsmitgliedern des Jahren 1960/61 mit Franz Arnold und Johann Schima immerhin zwei Personen befanden, deren Lehrberechtigungen 1938 aus politischen Gründen entzogen bzw. widerrufen und erst 1945 wieder reaktiviert worden waren – sie waren also von der nationalsozialistischen Vertreibungswelle, für die Knoll als von den Nationalsozialisten eingesetzter Rektor mitverantwortlich war, unmittelbar betroffen gewesen. Andererseits war der amtierende Rektor Othmar Kühn NSDAP-Mitglied und Prorektor Tassilo Antoine zumindest Parteianwärter gewesen. Zudem hatten Dekan Richard Pittioni und Senator Leo Santifaller zumindest eine ambivalente Beziehung zum Nationalsozialismus gepflegt.
Archivar Gall betonte in seinem 1965 erschienenen Werk „Alma Mater Rudolphina 1365–1965. Die Wiener Universität und ihre Studenten“ darüber hinaus, dass Rektor und Senat Knoll „damit den Dank der Universität für die trotz politischem Zwang und Krieg humane Amtsführung des Geehrten zum Ausdruck“ gebracht hätten – eine Formulierung, die besonders für die Vertriebenen des Jahres 1938 wohl kaum an Zynismus überboten werden konnte.
Verleihungspraxis und lückenhafte Dokumentation
Aufgrund des in den Statuten festgelegten Automatismus der Verleihung – ohne Notwendigkeit eines weiteren Beschlusses – sind die einzelnen Überreichungen des REZ in den Akten des Archivs der Universität Wien nicht lückenlos dokumentiert. Anhand von Akten und Fotos im Universitätsarchiv ist die Verleihung an 33 ehemalige Rektoren nachgewiesen – zuletzt an Heinz Engl 2022. Die Verleihung an die drei übrigen Altrektoren Roland Graßberger, Winfried Platzgummer und Hans Tuppy, von denen bisher kein Nachweis gefunden werden konnte, dass sie das REZ erhalten haben, ist zudem sehr wahrscheinlich.
Eine Ausnahme bezüglich der Verleihung stellten die Jahre ab 1969 dar. Tumulte bei der Rektorsinauguration von Walther Kraus am 17. Oktober 1968 hatten zur Abschaffung der feierlichen Inaugurationszeremonie an der Universität Wien für die Folgejahre geführt. Die damit ebenfalls ausgefallene Überreichung der Rektorserinnerungszeichen an die abgetretenen Rektoren Kraus und Fritz Zerbst wurde schließlich im Dezember 1970 in einer kleinen internen Feier in Anwesenheit der Dekane im Rektorszimmer nachgeholt. Auch wenn die Inaugurationsfeier erst 1991 wieder eingeführt wurde, erfolgte die Übergabe der Rektorserinnerungszeichen an den jeweils abtretenden Rektor in den Folgejahren wieder im Anschluss an die Überreichung der Rektorskette an den jeweils neuen Rektor. Auch im Jahr 2000 wurde das Rektorserinnerungszeichen gleichzeitig an die beiden zuvor amtierenden Rektoren Wolfgang Greisenegger (1998–2000) und Alfred Ebenbauer (1991–1998) überreicht.
In den Akten niedergeschlagen hat sich auch die in § 11 festgehaltene Rückstellungsklausel: So musste das Rektorat nach dem Tod von Altrektoren (z.B. Jellouschek 1961, Schönbauer 1963, Kühn 1969, Dordett 1984, Hofreiter 1990) die Erben kontaktieren, mit der Bitte, das REZ samt Kette zurückzustellen. Die zurückgegebenen Erinnerungszeichen konnten in der Folge wiederverliehen werden.
Quellen
Archiv der Universität Wien, Akademischer Senat, GZ 255 aus 1957/58 (Rektorserinnerungszeichen).
Archiv der Universität Wien, Akademischer Senat, S 230 (Ehrungen: Rektorserinnerungszeichen).
Archiv der Universität Wien, Rektorat, GZ 4/3 ex. 1970/71 (Rektorserinnerungszeichen Kraus und Zerbst, 1970).