Die Evangelisch-Theologische Fakultät der Universität Wien

1821–21. Jhdt.

Durch das Toleranzpatent Josephs II. vom 13. Oktober 1781 wurde den „Akatholischen“ – Protestanten und orthodoxe Christen – die private Religionsausübung in den österreichischen Ländern gestattet. Trotz etlicher Einschränkungen wie Vorgaben für den Bau von Bethäusern (keine „Kirchen“!) sowie der Mindestgröße von Gemeinden war damit die legale Religionsausübung für diese Konfessionen möglich. Damit stieg auch der Bedarf für die Ausbildung protestantischer Prediger und Pastoren.

Auch wenn Protestanten seit etwa 1778 zum Studium und zur Graduierung an der Universität Wien zugelassen waren, waren die Hochschulen der habsburgischen Länder katholische Einrichtungen, die keine Ausbildung in evangelischer Theologie anboten. Deshalb waren Protestanten gezwungen, ihr Theologiestudium an Universitäten des Deutschen Bundes zu absolvieren. Dort kamen sie nicht nur mit theologischem Fachwissen, sondern auch mit nationalen und liberalen Ideen in Berührung – Gedankengut, das spätestens nach dem Wiener Kongress als gefährlich galt und daher nach Möglichkeit unterbunden werden sollte. Die Kontrolle der protestantischen Geistlichen war somit das wesentliche Kriterium für die Einrichtung der protestantisch-theologischen Lehranstalt in Wien.

Die protestantisch-theologische Lehranstalt

Durch Allerhöchste Entschließung vom 25. September 1819 verfügte Kaiser Franz I. die Einrichtung eines „protestantisch-theologischen Studiums“. Die neugegründete Anstalt war für die Ausbildung von Geistlichen sowohl des Augsburgischen (A.B.) als auch des Helvetischen Bekenntnisses (H.B.) gedacht, wissenschaftliche Ansprüche wurden nicht gestellt. Damit hatte die protestantisch-theologische Lehranstalt keinen Sonderstatus, auch die übrigen österreichischen Universitäten waren berufsbildende Schulen und keine wissenschaftlichen Einrichtungen.

Am 2. April 1821 wurde die Lehranstalt in der vorderen Schenkenstraße eröffnet, der erste Direktor war Johann Wächter (1767–1827). Auch wenn die Lehranstalt als eigene Institution eingerichtet worden war, gab es von Anfang an Verbindungen zur Universität Wien: 1821 wurde der Gebäudeinspektor der Universität Wien, Josef Holzer, beauftragt, gemeinsam mit Direktor Wächter die Renovierungsarbeiten am Gebäude zu überwachen.

Die neugegründete Anstalt wurde von einem Studiendirektor geleitet und sollte sieben Lehrkanzeln umfassen. In Exegese und Dogmatik wurden die Studenten des Augsburgischen bzw. des Helvetischen Bekenntnisses getrennt unterrichtet, während Moraltheologie, Kirchengeschichte und Pastoraltheologie für beide Bekenntnisse gemeinsam gelehrt wurden. Die Unterrichtssprache war prinzipiell Deutsch, allerdings wurden die Fächer für die Studenten des Helvetischen Bekenntnisses auf Latein vorgetragen. Bei Eröffnung der Lehranstalt waren erst zwei Professuren besetzt, deren Inhaber auch die übrigen Fächer zu supplieren hatten. Im Laufe der Zeit wuchs ihre Zahl auf sechs an; 1846 wurde zusätzlich ein Assistent ernannt.

Eine Fakultät außerhalb der Universität

1850 wurde die Lehranstalt im Zuge der Thun-Hohenstein‘schen Universitätsreform in den Rang einer selbständigen Fakultät erhoben. In Anlehnung an die an der Universität gebräuchliche Terminologie wurde der Vorstand der Fakultät - bis dahin Direktor der Lehranstalt - als „Dekan“ bezeichnet. Seit 1912 durften die ordentlichen Professoren den Titel „Universitätsprofessor“ führen. 1861 erhielt die Fakultät das Promotionsrecht. Dies beinhaltete auch das Recht zur Verleihung von Ehrendoktoraten und –lizenziaten. Der Grad des Lizenziaten – die Erteilung der Lehrbefugnis als Vorstufe zu Magisterium bzw. Doktorat – war an den weltlichen Fakultäten seit dem 19. Jahrhundert kaum mehr gebräuchlich, während er an den theologischen Fakultäten weiterhin vergeben wurde. Auch die Wiener Evangelisch-Theologische Fakultät verlieh nach dem Vorbild deutscher Fakultäten das Lizenziat – sowohl als regulären Grad als auch ehrenhalber.

Dennoch stand die Lehranstalt bzw. die Fakultät bis 1922 außerhalb des Universitätsverbandes. 1848 hatte sie erstmals um Aufnahme in die Universität ersucht, bis zum Ende der Monarchie wurde dieses Ansuchen regelmäßig aufs Neue gestellt. Stets sprachen sich v.a. die Katholisch-Theologische sowie die Rechts- und Staatswissenschaftliche Fakultät dagegen aus. Als Hauptargument gegen die Aufnahme wurde meist der katholische Charakter der Universitätsstiftung angeführt. Auch sei zu befürchten, dass andere Religionsgemeinschaften ebenfalls die Schaffung eigener Fakultäten fordern würden.

Mit dem Zerfall der Monarchie kam der Evangelisch-Theologischen Fakultät ihr Haupteinzugsgebiet abhanden, da der Großteil der protestantischen Gemeinden in den nunmehrigen Nachfolgestaaten lag. In Prag und Sopron wurden eigene Fakultäten gegründet. Die evangelischen Studenten Ungarns und der Tschechoslowakei konnten nun im eigenen Land ausgebildet werden, nach Wien kamen dagegen verstärkt die deutschsprachigen Studenten der Nachfolgestaaten sowie aus Deutschland.

Trotz dieser Krise des Protestantismus in Österreich wurde 1921 die Hundertjahrfeier der Wiener Fakultät mit Gästen aus ganz Europa im Großen Festsaal der Universität Wien begangen.

1922 – Aufnahme in den Universitätsverband

Ein Jahr später erreichte die Evangelisch-Theologische Fakultät endlich ihre Aufnahme in die Universität. Von politischer Seite wurde dies pikanterweise durch eine Koalition zwischen Christlichsozialen und Großdeutschen ermöglicht: Die bis 1920 bestehende Koalition zwischen Christlichsozialen und Sozialdemokraten war nicht zuletzt an der Frage der Theologischen Fakultäten gescheitert, die als staatliche Ausbildungsstätten für Seelsorger von den Sozialdemokraten massiv bekämpft wurden. Bei den Koalitionsverhandlungen 1921/22 verlangten die Großdeutschen die Aufnahme der Evangelisch-Theologischen Fakultät. Diese Erweiterung war für die Christlichsozialen eher akzeptabel als die vom früheren Koalitionspartner geforderte Entfernung der Theologie aus der Universität. Mit der am 20. Juli 1922 erfolgten Änderung des Universitätsorganisationsgesetzes von 1873 war die Aufnahme in die Universität vollzogen.

Mit der Eingliederung der Fakultät in die Universität wurde auch die Frage des Frauenstudiums aktuell. Zwar sprach sich das Professorenkollegium bereits 1922 für die Zulassung von Frauen aus, eine Entscheidung des Oberkirchenrates mit Bericht an das Unterrichtsministerium konnte erst 1928 ergehen, da die Synode H.B. bis dahin den Beschluss verzögerte. Durch Ministerialerlass vom 2. April 1928 wurden Frauen zum evangelischen Theologiestudium zugelassen.

Die Evangelisch-Theologische Fakultät im „Ständestaat“ und im „Dritten Reich“

Schon bald nach der Eingliederung war die Fakultät in ihrem Bestand bedroht, als 1932 wegen Einsparplänen des Unterrichtsministeriums die Schließung der hauptsächlich von Nichtösterreichern besuchten Fakultät im Raum stand. Wie weit die Intervention der Fakultät sowie des Oberkirchenrats und des Deutschen Evangelischen Kirchenausschusses die Schließung verhinderte, ist unklar. Sicher ist, dass sie in ihrer Argumentation auf die deutschnationale Karte setzten und die Bedeutung der Wiener Fakultät als Ausbildungsstätte für die „Volksdeutschen“ Ost- und Südosteuropas betonten.

Diese betont „volksdeutsche“ Haltung der Evangelischen Fakultät brachte sie in Gegensatz zum deutsch-österreichischen und katholischen „Ständestaat“. So protestierten Lehrende und Studierende vergeblich gegen die Abhaltung der 1935 eingeführten weltanschaulichen Pflichtvorlesung durch katholische Theologen oder die de facto-Verpflichtung zum Eintritt in die Vaterländische Front.

Nach dem „Anschluss“ 1938 versuchten die „volksdeutschen“ Professoren, v.a. der im März 1938 eingesetzte Dekan Gustav Entz, erneut die Fakultät als Kultur- und Bildungszentrum für die „Volksdeutschen“ in Ost- und Südosteuropa zu etablieren. Der ursprünglich für das Studienjahr 1937/38 gewählte Dekan Karl Beth wurde seines Lehramts enthoben. Sein Nachfolger wurde der zuvor in Münster und Bonn lehrende Hans Wilhelm Schmidt. Weitere Berufungen ergingen ebenfalls an „reichsdeutsche“ Kandidaten. Die hochfliegenden Pläne für die „Grenzlandfakultät“ in Wien zerschlugen sich allerdings rasch. Nicht zuletzt aufgrund des Krieges fielen die bereits seit 1932 sinkenden Studentenzahlen fast auf Null. Lehrstühle, die durch den Kriegsdienst ihrer Inhaber unbesetzt waren, wurden durch Dozenten suppliert.

Die Fakultät seit 1945

1945 war die Fakultät – den Worten des Dekans Entz zufolge – in jeder Hinsicht eine Ruine: Die Räumlichkeiten in der Liebiggasse waren durch Bombentreffer schwer beeinträchtigt, das Archiv komplett vernichtet. Im Wintersemester 1944/45 waren nur vier Studenten inskribiert, im folgenden Sommersemester gar nur zwei!

Von den vier Ordinarien des Jahres 1945 waren drei nationalsozialistisch belastet: Entz, Schmidt und der Alttestamentler Fritz Wilke – die beiden letzteren seit 1934 bzw. 1940 NSDAP-Mitglieder. Ihre Entnazifizierungsverfahren verliefen dennoch „glimpflich“ und sie konnten ihre akademischen Karrieren in Wien (Entz) bzw. Deutschland fortsetzen. Lediglich Josef Bohatec, Professor für Kirchenrecht und Religionsphilosophie, war nicht belastet.

Seit 1945 wurde das Lehrangebot, das bis dahin aus den klassischen theologischen Disziplinen bestanden hatte, deutlich erweitert: Neue Fächer waren beispielsweise biblische und christliche Archäologie, Religionspädagogik, klinische Seelsorge, Psychologie oder Religionswissenschaft. Auch die Hörerzahlen stiegen rasch wieder an und pendelten sich seit den 1980er Jahren auf über 300 Studierende ein. Die Lehrenden nach 1945 kamen mehrheitlich aus der Pfarrpraxis; 1952 wurde Grete Mecenseffy als erste Frau an der Fakultät habilitiert. Im Studienjahr 1958/59 wurde mit Erwin Eugen Schneider erstmals ein Mitglied der Evangelisch-Theologischen Fakultät zum Rektor der Universität Wien gewählt.

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