Die Gleispachʼsche Studentenordnung
In der Studentenordnung von Rektor Wenzel Gleispach, die de facto zu einer Exklusion aller jüdischen Studierenden führen sollte, manifestierten sich die seit langer Zeit starken antisemitischen Tendenzen unter den Lehrenden und Studierenden. Die Gleispach'sche Studentenordnung wurde bereits im Folgejahr für ungültig erklärt, war aber Anlass mehrerer gewaltsamer Übergriffe deutschnationaler und nationalsozialistischer Studierender.
Antisemitismus an der Universität Wien in der Zwischenkriegszeit
Seit dem ausgehenden 19. Jahrhunderts bestanden an der Universität Wien bedeutende deutschnationale, antisemitische und antiliberale Traditionen, die in ersten Forderungen nach einem Numerus Clausus für Juden zum Ausdruck kamen. Nach dem Ersten Weltkrieg verschärften sich die antisemitischen Tendenzen massiv und bereits kurz nach Ausrufung der „Republik Deutsch-Österreich“ im November 1918 setzten heftige nationalsozialistisch dominierte Gewaltakte ein, die vor allem gegen jüdische Studierende an den Hochschulen gerichtet waren. Die ersten Rektoren der Universität Wien in der Ersten Republik sahen den „deutschen Charakter“ der Universität durch Überfremdung gefährdet und forderten die Bevorzugung der Studierenden deutscher Nationalität sowie die Einrichtung einer studentischen Interessensvertretung mit Beschränkung auf „Deutschösterreicher deutscher Nationalität“.
Der 1919 von deutschnationalen und katholischen Studentenverbindungen gewählte „deutsch-arische“ Hochschulausschuss bildete die Basis der späteren „Deutschen Studentenschaft“, die von den Universitätsbehörden anerkannt wurde. Ein 1923 beschlossener Numerus Clausus für jüdische ausländische Studierende an österreichischen Hochschulen und Universitäten wurde zwar versuchsweise umgesetzt, doch nie offiziell bestätigt. Der 1926 in Wien gegründete Nationalsozialistische Deutsche Studentenbund (NSDStB) stieg rasch zur stärksten Fraktion innerhalb der Deutschen Studentenschaft auf.
Die Studentenordnung von Rektor Wenzel Gleispach 1930
In ihren antisemitischen Forderung stießen die deutschnationalen Studierenden jedoch auch unter den Lehrenden sowie bei der Leitung der Universität Wien auf breiten Zuspruch und Unterstützung. In besonderer Weise trat hier der Strafrechtsprofessor Wenzel Gleispach, bekennender Nationalsozialist mit guten Verbindungen zur Heimwehrbewegung und Rektor der Universität Wien 1929/30, hervor. Bereits zu Beginn seiner Amtszeit im Herbst 1929 kam es zu gewaltsamen Übergriffen von NS- und Heimwehr-Studenten gegen sozialdemokratische Studierende (u.a. bei Vorlesungen des sozialdemokratischen Professors für Anatomie, Julius Tandler), die Gleispach als Rektor sympathisierend duldete.
Die Situation verschärfte sich 1930 bedeutend, als Gleispach dem akademischen Senat einen Vorschlag für eine neue Studentenordnung vorlegte, die alle ordentlichen Hörer nach „gleicher Abstammung und Muttersprache“ – unabhängig von der Staatsbürgerschaft des Einzelnen – zu „Studentennationen“ zusammenfasste („deutsche“, „nichtdeutsche (jüdische)“, „gemischte“ und „andere“). Mit der vorgesehenen Pflichtmitgliedschaft aller Studierenden in den jeweiligen rassistisch definierten „Nationen“ überstieg die Tragweite der Studentenordnung auch bei Weitem die legislativen Befugnisse der Institution Universität.
Trotz massiver Kritik aus dem bürgerlich-liberalen sowie aus dem sozialistischen Lager beschloss der Senat am 20. März 1930 die neue Studentenordnung entsprechend Gleispachs Vorschlag. Damit wurden die gerade in Wien sehr zahlreichen ausländischen und jüdischen Studierenden – mehr als ein Drittel aller Studentinnen und Studenten der Universität Wien – faktisch aus der „Deutschen Studentenschaft“ und deren Verwaltung eliminiert.
Im Vorfeld der Studentenwahlen im Februar 1931, die auf dieser Studentenordnung beruhten, riefen sozialistische, liberale und jüdische Studierendengruppen zum Wahlboykott auf. Nationalsozialistische Studierende versuchten indes mittels gewalttätigen Aktionen und Einschüchterung möglichst viele Studierende zur Wahl zu bewegen.
Aufhebung der Studentenordnung 1931 und deren Folgen
Die durch den Senat beschlossene "Gleispach'sche Studentenordnung" wurde am 23. Juni 1931 durch den Verfassungsgerichtshof aufgehoben, da nur das Parlament befugt war, eine verpflichtende Mitgliedschaft gesetzlich festzulegen. Gleichzeitig wurde festgestellt, dass die Gliederung nach Nationalität bzw. anderen rassistischen Kriterien nicht dem Gleichheitsgrundsatz widerspreche, das „Volksbürgerprinzip“ also legitim sei.
Unmittelbar nach der höchstgerichtlichen Aufhebung der Studentenordnung, welche de facto einen Numerus clausus für jüdische Studierende zur Folge gehabt hätte, kam es an der Universität Wien wieder zu Demonstrationen und gewaltsamen Angriffen von NS-Studenten auf jüdische, liberale und sozialistische Studierende. Am 23. Juni 1931 brachten sie an der Rampe der Universität Wien Plakate mit der Aufschrift „Juden, Eintritt verboten“ an. Zu Ehren Gleispachs als "Vorkämpfer des deutschen Studentenrechtes" veranstalteten die nationalsozialistischen Studierenden am 2. Juli 1931 einen Fackelzug, an dem neben Gleispach auch sein Nachfolger, der amtierende Rektor Hans Uebersberger teilnahm.
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Zuletzt aktualisiert am : 13.12.2023 - 23:31