Die „Laboratoriumspest“ in Wien

1898

Die Pest kehrt zurück

Nachdem bereits im 18. Jahrhundert die Pest weitgehend abgeklungen war, brach sie 1894, gerade in dem Jahr als ihr Erreger entdeckt wurde, in Hongkong aus und erreichte 1896 Bombay, wo sie rund 11.000 Menschenleben forderte. Da man sich damals auf internationaler Ebene in diversen Sanitätskonferenzen mit Vorkehrungen gegen die Ausbreitung von epidemischen Erkrankungen, insbesondere der Cholera, widmete, sollten diese Maßnahmen nun auch gegen die Pest geltend gemacht werden. In der Habsburgermonarchie fürchtete man die Einschleppung der Pest von aus Mekka heimkehrenden Pilgern, außerdem sah man im Hafen von Triest eine Gefahr durch den Schiffsverkehr aus Asien, zumal im November 1896 ein mit Pest infizierter Bootsmann auf einem türkischen Dampfer in der Hafenstadt verstarb.

Doch nicht nur der Oberste Sanitätsrat in Österreich befasste sich gemeinsam mit dem Ministerium des Innern und dem Handelsministerium mit Maßnahmen zur Seuchenbekämpfung, auch die kaiserliche Akademie der Wissenschaften in Wien richtete 1897 die sogenannte Pestexpedition nach Bombay mit finanzieller Unterstützung durch die Treitl-Stiftung aus.

Die österreichische Pestexpedition nach Bombay

„Nachdem die im Herbst 1896 in Indien ausgebrochene Beulenpest-Epidemie immer größere Ausmaße angenommen hatte, wurde am 17. Jan. 1897 von der math.-nath. Klasse der Akademie der Beschluß gefaßt, eine Expedition zur Erforschung dieser Krankheit nach Indien zu entsenden. Es konstituierte sich ein Comité in Angelegenheit der Expedition nach Bombay‘, dem die Herren Eduard Suess, Julius Ferdinand Hann, Adolf Lieben, Victor Gilbert v. Ebner-Rofenstein, Sigmund Exner, Carl Toldt u. Anton Weichselbaum angehörten.“

An der Expedition selbst nahmen die Ärzte Heinrich Albrecht, Hermann F. Müller, Anton Ghon, weiters Rudolf Pöch als ärztliche Hilfskraft für Blutuntersuchungen und fotografische Aufnahmen sowie der Prosekturdiener des Kaiserin-Elisabeth-Spitals Matthias Stöbich teil.

Am 20. Februar erreichten die Kommissionsmitglieder Bombay und somit war Österreich das erste Land, das eine Pestkommission entsandt hatte. Die Forschungen erfolgten im Arthur-Road-Hospital und in einem als Labor adaptierten Schulgebäude. Einerseits beobachtete man die klinische Entwicklung der Infizierten, andererseits sollten pathologische, mikroskopische und histologische Untersuchungen sowie die Durchführung von Tierversuchen Aufschlüsse zum Infektionsmodus geben. Jedoch waren die Forschungen überschattet von Protesten der Bevölkerung gegen die Obduktion von Pesttoten.

Mit der Pest infiziert

Nach der Rückkehr der Expeditionsteilnehmer wurde in der Prosektur des Allgemeinen Krankenhauses das sogenannte Pestzimmer eingerichtet. In diesem abgeschirmten Raum arbeitete man mit lebenden Pestbakterienstämmen und auch die mit Pest infizierten Tiere waren dort untergebracht. Anhand von Tierversuchen wollte man herausfinden, wie das Bakterium in den Organismus eindringt und wie man eine Immunisierung gegen die Pest erreichen kann. Da die Ärzte Albrecht und Ghon wieder an ihre Dienststellen am Pathologisch-anatomischen Institut und auch Müller und Pöch an die medizinischen Kliniken zurückkehren mussten, wurde ihnen für ihre Forschungen der Laboratoriumsdiener Franz Barisch zugeteilt. Er kam aus dem bakteriologischen Laboratorium des Pathologisch-anatomischen Instituts und war mit den Gefahren solcher Arbeiten bestens vertraut. Von August 1897 bis Oktober 1898 erfolgten nun Untersuchungen zur Morphologie, zum Verhalten und zum Überleben der Pestbakterien, wobei über 750 Versuche mit verschiedenen Nage- und Säugetieren, Reptilien, Amphibien und Vögeln durchgeführt wurden. Während dieser Versuche steckte sich im Oktober 1898 Barisch aus Unachtsamkeit – böse Zungen behaupteten, er wäre einem guten Tropfen Alkohol nicht abgeneigt gewesen – mit dem Pesterreger an. Zwar hielten die behandelnden Ärzte Ghon und Müller seine Erkrankung zunächst für eine Grippe oder Lungenentzündung, trotzdem verbrachte man Barisch in eine Isolierstation im Allgemeinen Krankenhaus. Er verstarb am 18. Oktober an einer pulmonalen Infektion. Im mikroskopischen Befund fand sich der Pesterreger.

Auch die für Barischs Pflege herangezogene junge, im Wiener Allgemeinen Krankenhaus in Ausbildung befindliche Krankenwärterin Albine Pecha infizierte sich mit der Pest genauso wie Hermann Müller. Gemeinsam mit Barischs zweiter Pflegekraft Johanna Hochegger (Hochecker), die allerdings nur an leichten Symptomen litt, wurden die drei in einer Isolierabteilung im Kaiser-Franz-Josef-Spital abgeschirmt. Trotz der Behandlungsversuche, selbst mit einem aus dem Pasteur-Institut in Paris requirierten Pestserum, kam für Pecha und Müller jede Hilfe zu spät.

Knapp über 180 Jahre nach Erlöschen der Pest kehrte die Krankheit also als „Laboratoriumspest“ nach Wien zurück und forderte drei Todesopfer. Dies führte zum Abbruch der Forschungen, zu rigorosen Maßnahmen im Allgemeinen Krankenhaus, wie der Absage von aufschiebbaren Operationen, der Einstellung des Lehrbetriebs und der Isolierung der dort tätigen Ärzte und Pflegekräfte, aber auch zur Errichtung von Epidemiespitälern und eines permanenten Pestkomitees aus Vertretern des Sanitätsdepartements des Ministeriums des Innern, des niederösterreichischen Landesausschusses, der Statthalterei, des Wiener Magistrats und der Polizeidirektion im Rathaus, das weitere Anordnungen gegen die Ausbreitung der Pest traf.

Fake News

Trotz aller Vorkehrungen verbreiteten sich in den Tageszeitungen rasch Fake News, etwa, dass sich die erkrankte Pecha im Allgemeinen Krankenhaus uneingeschränkt bewegt hätte, dass der infizierte Barisch tagelang mit Ärzten, Studenten und Besuchern persönlichen Kontakt hatte, seine Frau erst viel zu spät unter Quarantäne gestellt wurde und dass infizierte Ratten aus dem Versuchslabor entkommen seien und in die Kanäle des Allgemeinen Krankenhauses gelangten. Dort wurden angeblich auch Barischs Gedärme entsorgt. Auch wenn sich all diese Aussagen als Zeitungsenten erwiesen, ließ Wiens Bürgermeister Karl Lueger zur Sicherheit die Kanäle mit dem Wasser der I. Hochquellenleitung durchspülen.

 

>>> Daniela Angetter-Pfeiffer, Albine Pecha, die letzte Pesttote Wiens, in: Der Standard, Biografie-Blog, 9. 10. 2023 (abgerufen am 6.12.2023)

Quellen:

Archiv der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, Pest-Comité (1 Faszikel), insbesondere Befürwortung der Indien-Expedition durch die Comitémitglieder No. 81/1897.

Die Pestfälle in Wien, in: Deutsches Volksblatt, 23.10.1898, 24.10.1898 und 25.10.1898.

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Daniela Angetter-Pfeiffer

Zuletzt aktualisiert am : 07.12.2023 - 11:56

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