Peregrinatio academica
Der Austausch von Studierenden innerhalb des europäischen Universitätsnetzes wird heute in großangelegten Mobilitätsprogrammen wie ERASMUS+ gefördert. Gerne betonen Universitäten die Internationalität ihrer Mitglieder und messen deren Aktivitäten nach den Kategorien „incoming“ und „outgoing“. Zu den wichtigsten Anforderungen für Universitätsangehörige zählt die Mobilitätsbereitschaft. Die peregrinatio academica ist ein integrativer Bestandteil des Universitätswesens mit langer Tradition, die sich schon im sogenannten Scholarenprivileg Friedrich Barbarossas von 1155 festmachen lässt, in dem den wandernden Studenten der Schutz des Kaisers und ein eigenständiger Rechtsstatus eingeräumt wurde.
Peregrinatio academica bezeichnet generell die bildungsbedingte Mobilität von Universitätsstudenten im engeren wie auch die Gelehrtenwanderungen im weiteren Sinn. Die anfänglich weiträumigen Wanderungen an die wenigen Universitäten Europas in Bologna, Paris sowie Oxford und Cambridge verkürzten sich im 14. Jahrhundert nach den ersten zentraleuropäischen Universitätsgründungen (Prag, Wien und Krakau) und der nachfolgenden Etablierung des Universitätswesens im deutschsprachigen Raum. Die überregionale Attraktivität der alten Hochburgen blieb aber bis in die frühe Neuzeit bestehen.
Die Anfänge – Studium in der Ferne
Wer, aus dem österreichischen Raum stammend, vor der Mitte des 14. Jahrhunderts an einer Universität studieren wollte, musste einen weiten Weg auf sich nehmen. Wohin dieser führte, war von der präferierten Fachrichtung abhängig, da nicht an jedem Universitätsstandort alle Fächer der vier im Mittelalter zugelassenen Fakultäten (Philosophie, Medizin, Rechte, Theologie) gelehrt wurden. Während sich angehende Theologen nach Paris aufmachten, Mediziner nach Salerno oder Montpellier, studierten die Juristen hauptsächlich in Bologna. Dort lehrten die angesehensten Juristen des alten Reiches. Mit Bologna verbindet man in erster Linie die Rezeption des römischen Rechts, das ab dem 13. Jahrhundert von den zahlreichen Absolventen in den nordalpinen Raum transferiert wurde. Bologna war darüber hinaus auch modellbildend für den Universitätstyp mit ausgeprägter studentischer Autonomie und damit auch attraktiv für Studenten mit hohem Sozialstatus und Standesbewusstsein. Die soziale Exklusivität begründet sich dabei weniger auf soziale Ausschlussgründe bei der Immatrikulation als auf hohe Studien- und Lebenshaltungskosten für das oft langjährige Studium in der Fremde. Über die Studenten ist dank der relativ günstigen Quellenüberlieferung und darauf basierender kollektivbiographischer Arbeiten einiges bekannt. Ab dem 13. Jahrhundert kam es zum anhaltenden – aber mitunter schwankenden - Zuzug aus dem deutschsprachigen Raum; zwischen 1265 und 1425 immatrikulierten sich - laut Schmutz - allein in Bologna 3.600 Personen aus dem deutschsprachigen Raum. In Verbindung mit den institutionsgeschichtlichen Untersuchungen lässt sich die peregrinatio academica als komplexes Zusammenspiel von individuellen Interessen, organisatorischen Rahmenbedingungen am Studienort und nicht zuletzt auch politischen Faktoren erklären.
Wo man studierte, war von familiären und verwandtschaftlichen Beziehungen ebenso beeinflusst wie vom Renommee einzelner Hochschulen. Das Studium in der Fremde war mit vielen Unwägbarkeiten verbunden. Kriege, Konflikte mit zwischen den städtischen Obrigkeiten und den Studenten oder Krankheiten wie die Pestepidemien waren allgegenwärtig. Zum gegenseitigen Beistand schlossen sich Universitätsbesucher daher innerhalb der gesamten Studentenschaft noch in sogenannten akademischen Nationen zusammen, das waren universitäre Teilkorporationen, deren Zugehörigkeit sich über die räumliche Herkunft und gemeinsame Sprache definierte. Oft bildeten sich auch kleine Reisegruppen aus Verwandten oder mit gemeinsamer lokaler Herkunft.
Die Universität in der Nähe
Durch die Universitätsgründungen 15. Jahrhundert (im süddeutschen Raum Freiburg 1457, Ingolstadt 1459, Tübingen 1476) verkürzten sich die Wanderungsdistanzen zum Hochschulort und es eröffneten sich neue Möglichkeiten, den Studienort während des Studiums zu verändern bzw. nach dem Grundstudium an einer näher gelegenen philosophischen Fakultät zum Fachstudium der Medizin, Rechte oder Theologie an eine andere Universität über zu wechseln. Der Abschluss an einer der renommierten Bildungsstätten in Frankreich und Italien blieb weiterhin begehrt, konnte aber nach wie vor nur von reich dotierten Pfründeninhabern oder vermögenden Personen erreicht werden. Zweifellos beförderten auch Humanismus und Renaissance den überregionalen Austausch unter den Gelehrten.
Die Masse der Universitätsbesucher hingegen – nach den Zahlen von Schwinges waren dies bis 1500 allein im deutschsprachigen Raum über 200.000 Personen - immatrikulierte sich nur an einer Universität und verließ diese nach ein bis zwei Jahren ohne akademischen Abschluss wieder. An der Wiener Universität haben im Verlauf des 15. Jahrhunderts nur ca. ein Drittel der Studenten den Grad eines Bakkalars erreicht, den Magistergrad nicht einmal zehn Prozent - Tendenz fallend. Dem interuniversitären Austausch waren im eher durch Armut geprägten Wiener Artistenmilieu enge Grenzen gesetzt.
Von der peregrinatio academica zur Kavalierstour
Im Rahmen der Universitätsgeschichte bildet die Reformation eine Zäsur, mit der im österreichischen Raum eine markante Änderung der Migrationsmuster einherging. Während der Zuzug nach Wien stark rückläufig war drehte sich die Wanderrichtung zu den neuen protestantischen Bildungszentren in Wittenberg und Tübingen. Die peregrinatio academica erfuhr ab der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts eine Umformung bzw. Erweiterung, indem der landsässige Adel die Universitäten als Ausbildungsstätten für seine Söhne entdeckte und den Besuch von Universitäten in ein umfassendes Reise- und Bildungsprogramm integrierte. Im Rahmen der adeligen Kavalierstouren wurden wieder die „alten Universitäten“ in Italien und Frankreich besonders stark frequentiert.