Edith Pye
Krankenschwester, Hebamme, Quäkerin und Organisatorin internationaler Hilfsmaßnahmen
Ehrungen
Ehrung | Titel | Datierung | Fakultät | |
---|---|---|---|---|
Ehrenmedaille | Ehrenmedaille silber | 1922 |
|
- Geburtshilfe
Edith Mary Pye war die Tochter des Weinhändlers William Arthur Pye und dessen Ehefrau Margaret Thompson Kidston. Sie absolvierte von 1900 bis 1904 eine Ausbildung zur Krankenschwester am David Lewis Northern Hospital in Liverpool. 1906 wurde sie nach einer Prüfung an der Clapham School of Midwifery (Clapham Maternity Hospital) als Hebamme zugelassen – sie zählte damit zu den ersten diplomierten Hebammen in Großbritannien. 1907 erfolgte ihre Ernennung zum Central Superintendent der Ranyard District Nurses in London. In London lernte sie die aus einer Quäkerfamilie stammende Ärztin Hilda Clark (1881–1955) kennen, mit der sie bald eine lebenslang andauernde Partnerschaft verband. 1908 wurde auch Edith Pye Mitglied der Society of Friends (Quäker) und widmete sich mit Clark humanitären Aufgaben sowie den Zielen der Frauenbewegung. Beide Frauen wurden Mitglieder der radikalen Women’s Social and Political Union sowie in der National Union of Womenʼs Suffrage Societies. 1915 zählten sie auch zu den Unterstützerinnen des Internationalen Frauenfriedenskongresses in Den Haag, deren über 1.100 Teilnehmerinnen sich für ein sofortiges Ende des Ersten Weltkriegs einsetzten.
Gemeinsam mit Hilda Clark engagierte sich Pye während des Ersten Weltkrieges für die Flüchtlingshilfe in Frankreich. In der Stadt Châlons-sur-Marne (heute: Châlons-en-Champagne), die im Kriegsgebiet lag, organisierte Clark ab Herbst 1914 die Arbeit der Quäkerhilfsorganisation Friends’ War Victims’ Relief Committee (FWVRC), die sich vor allem Frauen und Kindern widmete. Diese richtete eine Entbindungsklinik für weibliche Flüchtlinge ein („Friendsʼ Maternity Hospital and Infant Welfare Center“, später: „Maison Maternelle de la Marne“), deren Leitung Edith Pye ab Dezember 1914 übernahm. Pye verwaltete das Krankenhaus, war als Hebamme tätig und bildete Freiwillige aus. Für die Quäker-Zeitschrift „The Friend“ verfasste sie in dieser Zeit zahlreiche Situationsberichte über die Arbeit in Frankreich und warb um finanzielle Unterstützung, Sachspenden sowie freiwillige Helfer*innen. Auch kooperierte sie mit dem Amerikanischen Roten Kreuz, das in St. Remy-en-Bouzemont nahe Vitry ein Kinderheim und -krankenhaus einrichtete. Als eine der wenigen Frauen wurde Pye 1919 mit dem französischen Verdienstorden Chevalier de la Légion d’Honneur geehrt. Im Herbst 1919 übergaben die Quäker das Krankenhaus offiziell an ein französisches Komitee.
Ende 1919 folgte Edith Pye Hilda Clark nach Wien und unterstützte sie bei der Organisation der britisch-amerikanischen Hilfsmission für die notleidende Bevölkerung Wiens im Namen des FWVRC, das ein einem ehemaligen Palais in der Singerstraße 16 im 1. Bezirk seinen Sitz hatte. Da eine Initiative der von Herbert Hoover geleiteten American Relief Administration (ARA) bereits über 100.000 Schulkinder in Wien versorgte, wandte sich die Quäkerhilfsorganisation zunächst vor allem der Versorgung unterernährter Säuglinge und jüngerer Kinder zu. Um dem Mangel an Milch entgegenzuwirken, wurden mit Spendengeldern im Ausland Kühe und Viehfutter für Bauernhöfe im Wiener Umland angekauft, wodurch die Milchproduktion massiv gesteigert werden konnte. In Zusammenarbeit mit zahlreichen weiteren Hilfsorganisationen wurden Nahrungsmittel und Kleidung an die Wiener Bevölkerung verteilt und die medizinische Versorgung verbessert. Ab 1920/21 widmete sich eine eigene Abteilung der Hilfsorganisation auch der Unterstützung der Universitätsstudenten und -professoren, indem sie etwa Frühstückstische an Universitäten anbot. Gemeinsam mit Clark reiste Edith Pye 1921 für zwei Monate in die USA, um dort um Unterstützung für ihre Hilfsmaßnahmen zu werben.
Nachdem der Akademische Senat der Universität Wien am 24. März 1922 bereits die Verleihung der goldenen Ehrenmedaille der Universität Wien an Hilda Clark beschlossen hatte, schlug Prof. Clemens Pirquet dem Senat im März 1922 vor, auch „Miss Edith Pye, Assistentin der Frau Dr. Hilda Clark (Society of Friends)“ auszuzeichnen. Den Anlass boten die humanitären Hilfsmaßnahmen der Quäker, die auch den Studierenden und Lehrenden der Universität Wien zugutekamen. Der Senat beschloss in seiner Sitzung am 24. Juli 1922 die Verleihung der silbernen Ehrenmedaille der Universität Wien an Edith Pye. Daraufhin schrieb Pye im Oktober 1922 an den Rektor:
„It was for me, as for all our members a great joy & privilege to live in your beautiful city, & to be the channel through which the help came from many in England & America who admire & love the civilization of the Austrian people of which the University is the home & centre; & I shall always treasure this memento of it”.
(Akademischer Senat, Gz. 708 ex 1919/20)
1922 wurde Pye in den General Nursing Council of England and Wales aufgenommen, der für die Verwaltung des Krankenschwesternregisters zuständig war. 1923 setzte sie ihre humanitäre Arbeit im Ruhrgebiet fort. Als Delegierte der Women’s International League for Peace and Freedom reiste sie 1927 drei Monate lang durch China und Französisch-Indochina, um sich mit chinesischen Frauen über Frauenrechte, Imperialismus und politische Gewalt auszutauschen.
1929 wurde Edith Pye in das Royal College of Nursing aufgenommen. Im selben Jahr erfolgte ihre Ernennung zur Präsidentin des britischen Hebammeninstituts („Midwivesʼ Institute“, ab 1941 „College of Midwives”, ab 1947 „Royal College of Midwives“) – eine Position, die sie 20 Jahre lang (bis 1949) ausüben sollte. In dieser Funktion gehörte sie dem 1933 gegründeten Joint Council of Midwifery an. In die Zeit ihrer Präsidentschaft fiel auch der Erlass des Hebammengesetzes von 1936 in Großbritannien. Zwischen 1934 und 1936 übernahm Edith Pye zusätzlich die Präsidentschaft der International Confederation of Midwives (Internationaler Hebammenverband). Für ihre Verdienste um das britische Hebammenwesen wurde sie 1943 mit dem Order of the British Empire (OBE) ausgezeichnet.
Neben ihrem Engagement für das Hebammenwesen war Edith Pye auch weiterhin für die internationale humanitäre Hilfe aktiv. Als Vize-Vorstand des German Emergency Committee widmete sie sich ab 1933 der Hilfe für Flüchtlinge aus NS-Deutschland. Als Reaktion auf die blutige Niederschlagung der Februarkämpfe 1934 in Österreich durch das Dollfuß-Regime sandte Clark – und mit gleichem Wortlaut Pye als Chairman des International Executive of the Women’s League for Peace and Freedom – eine Nachricht an Engelbert Dollfuß mit der Bitte um Gnade:
„Quaker International Service, London, having a special interest in Austria through child-feeding 1919–1922, hearing with deep sorrow of suffering in your country, urges policies of mercy, especially with regard to repeal of death sentence.”
(zit. nach: Spielhofer 2001, S. 78)
Während des Spanischen Bürgerkriegs koordinierten Clark und Pye die wohltätige Arbeit der Quäker in Spanien, u.a. im Rahmen der International Commission for the Assistance of Child Refugees.
Während des Zweiten Weltkriegs setzte Pye ihren Einsatz für Flüchtlinge von Großbritannien aus fort. So fungierte sie als Vorsitzende des Friendsʼ Service Council France and Switzerland Committee. Als Initiatorin und Ehrensekretärin des Famine Relief Committee organisierte sie zudem ab 1941 ein Netzwerk von lokalen Komitees in Großbritannien (u.a. Oxford Famine Committee, OXFAM) mit dem Zweck, die hungernde Bevölkerung in Europa zu unterstützen. Hier arbeitete sie eng mit dem Ministry of Economic Warfare zusammen und setzte sich für die teilweise Aufhebung der alliierten Seeblockade in Europa ein, insbesondere um Hilfslieferungen an Frauen und Kinder im von NS-Deutschland besetzten Griechenland zu ermöglichen. Nach Kriegsende fungierte sie auch als Ehrensekretärin des Anfang 1946 gegründeten Aid für Austria Appeal Committee und wandte sich mit Unterstützungsaufrufen an die bestehenden Famine Relief Committees in Großbritannien.
Nach einer langen Karriere in der internationalen Hilfe und im Hebammenwesen zog sich Edith Pye 1952 mit Hilda Clark nach Street in Somerset in den Ruhestand zurück. 1956 veröffentlichte Edith Pye zahlreiche Briefe von Hilda Clark unter dem Titel „War and its aftermath: letters from Hilda Clark … from France, Austria and the Near East“. Sie starb am 16. Dezember 1965 im Alter von 89 Jahren – zehn Jahre nach Clark – ebendort und wurde in demselben Grab wie ihre Partnerin auf dem Quäkerfriedhof in Street bestattet.
Ein Teil ihres Nachlasses (Papers of Edith Pye) befindet sich heute im Archiv des Royal College of Obstetricians and Gynaecologists.
Archiv der Universität Wien, R 34.4: Ehrenbuch 1921-1959; Akademischer Senat, Gz. 708 ex 1919/20.
> Wikipedia
> Edith Mary Pye (1876-1965) Chevalier de la Légion d’Honneur
> Papers of Edith Pye at Royal College of Obstetricians and Gynaecologists Archives
Zuletzt aktualisiert am 12.09.2024 - 10:46
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