Simon Wiesenthal, Dipl.-Ing., Dr. h.c. mult.
Ehrungen
Ehrung | Titel | Datierung | Fakultät | |
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Ehrendoktorat | Dr. phil. h.c. | 1990/91 | Grund- und Integrativwissenschaftliche Fakultät |
Im April 1990 beantragten die im Senat der Universität Wien vertretenen Studierenden, Simon Wiesenthal das Ehrendoktorat der Universität Wien zu verleihen:
Nach Zustimmung der Grund- und Integrativwissenschaftlichen Fakultät unter Dekan Wolfgang Greisenegger beschloss der Akademische Senat schließlich am 21. Juni 1990, Wiesenthal das Ehrendoktorat der Philosophie zu verleihen. Die Verleihung fand am 7. November 1990 im Rahmen einer Akademischen Feier im Großen Festsaal der Universität Wien statt. Rektor Karl Wernhart hob in seiner Ansprache hervor:
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- Zeitgeschichte
Simon Wiesenthal, Sohn des Zuckergroßhändlers Asher Wiesenthal und dessen Ehefrau Rosa (geb. Rapp), besuchte die Volksschule in Lemberg/Galizien (ab 1918 Polen, heute: Lwiw, Ukraine) und Wien und absolvierte das Gymnasium in seiner Geburtsstadt Buczacz/Galizien (ab 1919 Polen, heute: Ukraine). Nach der Matura 1928 blieb ihm wegen antisemitischer Zugangsbeschränkungen (Numerus clausus) ein Studium am Polytechnischen Institut in Lemberg verwehrt. Er übersiedelte daher nach Prag/Tschechoslowakei und studierte Architektur und Hochbau an der dortigen Tschechischen Technischen Hochschule. Nach seinem Studienabschluss 1932 kehrte er als Ingenieur nach Galizien zurück und ließ sich in Lemberg nieder. Hier musste er einen Teil seines Studiums wiederholen, um sich erneut als Architekt zu qualifizieren und ein Architekturbüro zu eröffnen. 1936 heiratete er seine Schulfreundin Cyla Müller. Nachdem Galizien als Folge des Hitler-Stalin-Pakts 1939 von sowjetischen Truppen besetzt wurde, musste Wiesenthal seine berufliche Tätigkeit als Architekt aufgeben.
Nach dem Überfall der deutschen Wehrmacht auf die Sowjetunion wurde Simon Wiesenthal wegen Kontakten zum polnischen Widerstand im Juli 1941 verhaftet und in der Folge in verschiedenen Konzentrationslagern inhaftiert, darunter Plaszow, Auschwitz, Groß-Rosen, Buchenwald und zuletzt ab Februar 1945 Mauthausen. Dort erlebte er im Mai 1945 die Befreiung durch Einheiten der US-Armee.
Während ein großer Teil seiner Familie in nationalsozialistischen Lagern ermordet worden war, war es seiner Frau Cyla gelungen, unter falschem Namen als Zwangsarbeiterin in Deutschland zu überleben. Nach Kriegsende trafen sie einander in Linz wieder. 1946 wurde ihre gemeinsame Tochter Pauline geboren.
Unmittelbar nach der Befreiung übergab Simon Wiesenthal den US-amerikanischen Behörden eine Liste mit 91 Namen von SS-Angehörigen, von deren Verbrechen er Zeuge geworden war. Als Präsident eines jüdischen Komitees von Überlebenden aus dem KZ Mauthausen setzte er sich in der amerikanischen Besatzungszone für die Rechte und die Unterstützung der Überlebenden ein. Um die nationalsozialistischen Verbrechen zu verfolgen, begann Wiesenthal zunächst im Auftrag des U. S. War Crimes Office Zeugenaussagen und Beweismittel zu NS-Täter*innen zu sammeln. Er setzte seine Tätigkeit eigenständig fort, korrespondierte weltweit mit Überlebendenorganisationen und gründete 1947 die Dokumentationsstelle Jüdische Historische Dokumentation in Linz. Die gesammelten Informationen leitete er an Justizbehörden verschiedener Länder weiter. Aufgrund der schwindenden staatlichen Unterstützung musste Wiesenthal die Dokumentationsstelle 1954 schließen. Das Archiv, bestehend aus Karteien, Zeugenaussagen und Ermittlungsunterlagen zu Täter*innen und Tatorten, schenkte Wiesenthal 1955 der Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem.
Trotz fehlender Unterstützung vonseiten des österreichischen Staates setzte Simon Wiesenthal seine internationale Suche nach NS-Verbrechern von Wien aus fort und gründete hier 1961 ein neues Dokumentationszentrum – zunächst im Auftrag der Israelitischen Kultusgemeinde Wien, ab 1963 mithilfe von Privatspenden im Rahmen des von ihm gegründeten Bundes Jüdischer Verfolgter des Naziregimes. Wiesenthals akribischen Recherchen ist es zu verdanken, dass u.a. Adolf Eichmann, der Hauptorganisator der Deportation der europäischen Jüdinnen und Juden, der Wiener Polizeibeamte Karl Silberbauer, der Anne Frank verhaftet hatte, Franz Stangl, Kommandant des Vernichtungslagers Treblinka, und Franz Murer, der „Schlächter von Vilnius“, aufgespürt und vor Gericht gestellt werden konnten. Jedoch nur ein kleiner Teil der von Wiesenthal gesammelten Informationen zu tausenden Täter*innen führte zu Verurteilungen durch die österreichische Nachkriegsjustiz. Ein großer Teil der Hinweise wurde nicht weiterverfolgt, Ermittlungen verzögert, Verfahren eingestellt oder mit teils skandalösen Freisprüchen beendet. In einem Memorandum an die österreichische Bundesregierung kritisierte Wiesenthal 1966 die zögerliche Arbeit der Exekutive und Justiz und unterbreitete Vorschläge für eine effektivere Strafverfolgung von NS-Tätern.
Auch mit seiner internationalen Vortragstätigkeit sowie als Autor zahlreicher Bücher, die in viele Sprachen übersetzt wurden, engagierte sich Simon Wiesenthal unermüdlich für den „Kampf um Recht und Gerechtigkeit“, eine aktive Aufarbeitung des Nationalsozialismus, insbesondere die strafrechtliche Ahndung von NS-Verbrechen, sowie gegen ein Verdrängen der Geschichte – auch als Beitrag für eine demokratische Gesellschaft für nachfolgende Generationen. Entgegen der Kollektivschuldthese, wonach das gesamte deutsche Volk für die NS-Verbrechen verantwortlich sei, fokussierte Wiesenthals Täterforschung auf den Nachweis individueller Schuld. Weiters zählte das Dokumentationszentrum die Beobachtung von gegenwärtigem Rechtsextremismus und Antisemitismus in aller Welt zu seinen Aufgaben.
Sein Engagement wurde besonders in Österreich über Jahrzehnte nicht entsprechend wertgeschätzt. Er wurde wiederholt als „Querulant“, „Menschenjäger“, „Unruhestifter“ o.ä. diffamiert. 1982 entging er nur knapp einem Bombenanschlag eines Neonazis auf seine Wohnung.
Besonders im Zuge der sogenannten „Kreisky-Peter-Wiesenthal-Affäre“ 1975 wurde er Ziel medialer Anfeindungen: Bereits 1970 hatte Wiesenthal gegen vier Minister mit NS-Vergangenheit in der SPÖ-Minderheitsregierung unter Bundeskanzler Bruno Kreisky protestiert, wofür er von der SPÖ angegriffen wurde. Der Konflikt eskalierte 1975, als Wiesenthal die SS-Vergangenheit des damaligen FPÖ-Obmannes Friedrich Peter und dessen mutmaßliche Involvierung in NS-Kriegsverbrechen aufdeckte, den Kreisky als Vizekanzler erwogen hatte. Kreisky verteidigte Peter, der leugnete, von den Mordaktionen seiner SS-Einheit an Zivilisten gewusst zu haben, und äußerte öffentlich den Verdacht, Wiesenthal habe mit den Nationalsozialisten kollaboriert. Nach einer Klage Wiesenthals nahm Kreisky diese Unterstellung zunächst zurück, äußerte sie aber in den 1980er Jahren erneut und wurde schließlich wegen übler Nachrede zu einer Geldstrafe verurteilt.
Ehrungen
Simon Wiesenthal erlangte erst spät Anerkennung für seine dokumentarische und publizistische Arbeit. Er wurde schließlich international vielfach geehrt und ausgezeichnet, in den USA etwa mit der Presidential Medal of Freedom (2000) und in Großbritannien mit dem Titel Knight Commander of the Order of the British Empire (KBE, 2004). In Österreich wurde ihm u.a. das Österreichische Ehrenkreuz für Wissenschaft und Kunst Erster Klasse (1993) sowie wenige Monate vor seinem Tod das Große Goldene Ehrenzeichen für Verdienste um die Republik Österreich (2005) verliehen.
Insgesamt 18 Universitäten weltweit ernannten ihn zum Ehrendoktor, darunter im Jahr 1990 die Universität Wien: Auf Initiative von Vertreter*innen der Österreichischen Hochschülerschaft beschloss der Akademische Senat am 21. Juni 1990, Wiesenthal das Ehrendoktorat zu verleihen. Nach der Veröffentlichung der Entscheidung erreichten das Rektorat mehrere schriftliche Reaktionen, die von freudiger Zustimmung bis zu heftiger Ablehnung gepaart mit antisemitischen Anschuldigungen und Verleumdungen sowie entsprechenden Zeitungsberichten reichten. Bei der feierlichen Verleihung am 7. November 1990 im Großen Festsaal der Universität Wien hielt Erhard Busek, Bundesminister für Wissenschaft und Forschung, die Laudatio, in der er betonte:
„Österreich hat es Simon Wiesenthal immer wieder schwer gemacht, hier zu leben und zu wirken. Als Bundesminister für Wissenschaft freue ich mich, daß die Wiener Universität einen vitalen Beitrag dazu leistet, die Ehrenschuld gegenüber Simon Wiesenthal abzutragen.“
„Als Mensch möchte ich die Universität aber auch darauf aufmerksam machen, daß die Ehrung Simon Wiesenthals eine Verpflichtung für sie selbst ist. Es wird eine wichtige Aufgabe der Hohen Schulen sein, daß kein einziger junger Mensch mit dem Irrglauben aus ihnen herauskommt, daß das, was vor 1945 geschehen ist, das, was Simon Wiesenthal minutiös dokumentiert hat, die Vergangenheit eines fernen ‚vorigen Jahrhunderts‘ ist […]“.
(Laudatio von Dr. Erhard Busek, 7.11.1990, in: Archiv der Universität Wien, Akademischer Senat S 229.19.8)
1977 wurde in Los Angeles das Simon Wiesenthal Center gegründet, eine internationale Menschenrechtsorganisation, die sich für die Erinnerung an den Holocaust, die Verteidigung der Menschenrechte und des jüdischen Volkes sowie gegen Antisemitismus einsetzt. Weitere Standorte befinden sich in New York, Chicago, Miami, Toronto, Paris, Berlin, Jerusalem und Buenos Aires.
1989 wurde der Hollywood-Spielfilm „Murderers Among Us: The Simon Wiesenthal Story“ (deutsch: „Recht, nicht Rache“) veröffentlicht, der Wiesenthals Lebensgeschichte erzählt.
Das 2000 enthüllte Mahnmal für die österreichischen jüdischen Opfer der Schoah am Wiener Judenplatz wurde auf seine Initiative hin errichtet.
Simon Wiesenthal starb am 20. September 2005 im Alter von 96 Jahren in Wien. Er wurde in Herzliya-Pituach in Israel beigesetzt.
Noch zu Lebzeiten hatte Wiesenthal an der Konzeption eines Shoah-Forschungsinstitut in Wien mitgearbeitet, das schließlich 2009 als Wiener Wiesenthal Institut für Holocaust-Studien (VWI) gegründet wurde. Dieses bewahrt heute seinen Nachlass, der vor allem aus den Archiven seiner ehemaligen Büros in Linz und Wien besteht und zentrale Dokumente zu NS-Verbrechen und -Täter*innen enthält.
Ein Jahr nach seinem Tod wurde in Wien-Leopoldstadt (2. Bezirk) die Simon-Wiesenthal-Gasse, in der zahlreiche jüdische Institutionen ihren Sitz haben, nach ihm benannt. Seit 2021 verleiht der Nationalfonds jährlich den Simon-Wiesenthal-Preis für besonderes zivilgesellschaftliches Engagement gegen Antisemitismus und für die Aufklärung über den Holocaust.
Werke (Auswahl)
KZ Mauthausen. Bild und Wort, 1946.
Groß-Mufti – Groß-Agent der Achse. Tatsachenbericht mit 24 Photographien, 1947.
Ich jagte Eichmann. Tatsachenbericht, 1961.
Doch die Mörder leben, 1967.
Die Sonnenblume. Von Schuld und Vergebung, 1970.
Krystyna. Die Tragödie des polnischen Widerstands, 1986.
Jeder Tag ein Gedenktag. Chronik jüdischen Leidens, 1988.
Recht, nicht Rache. Erinnerungen, 1988.
Denn sie wußten, was sie tun. Zeichnungen und Aufzeichnungen aus dem KZ Mauthausen, 1995.
Archiv der Universität Wien, Akademischer Senat S 229.19.8 (Verleihung des Ehrendoktorates).
> Wiener Wiesenthal-Institut für Holocaust-Studien (VWI)
> Simon Wiesenthal Center
> Bund jüdischer Verfolgter des Naziregimes, Aktivisten und Aktivistinnen gegen Neonazismus und Antisemitismus (BJVN)
> Wikipedia
Zuletzt aktualisiert am 30.04.2024 - 21:48