Die Akademische Legion 1848
Studenten militärisch organisiert und unter Waffen? Diese Vorstellung mag heute ungewöhnlich und bedrohlich erscheinen. Beeinflusst von der Idee einer allgemeinen Volksbewaffnung, welche in der Amerikanischen und Französischen Revolution entwickelt worden war, setzten die Revolutionäre von 1848 die Errichtung einer bürgerlichen Nationalgarde durch, in deren Rahmen die Studierenden und Akademiker der Wiener Hochschulen die Akademische Legion bildeten.
Die Revolution 1848 begann im März mit Kundgebungen vor dem niederösterreichischen Landhaus, in deren Verlauf kaiserliche Truppen auf die Demonstranten das Feuer eröffneten. Aufgebrachte Bürger und Studenten stürmten daraufhin das bürgerliche Zeughaus Am Hof, und bewaffneten sich aus dessen Beständen. Obwohl manche Revolutionäre, vor allem auch Studenten, eine allgemeine Volksbewaffnung befürworteten, war die Angst vor Waffen tragenden Arbeitern groß. So bildeten sich auf der Grundlage von Besitz und Bildung eine bürgerliche Nationalgarde und die Akademische Legion als deren Unterabteilung. Sie sollten die jungen Errungenschaften der Revolution schützen, aber auch Sicherheit und Ordnung in der Stadt gewährleisten.
Selbst die Revolutionäre gaben sich kaisertreu, und die Bildung der Akademischen Legion sollte nicht ohne Zustimmung des Hofes erfolgen. Der Rektor der Universität persönlich, Sebastian Jenull, setzte sich dafür ein. Die Legion war in fünf Korps gegliedert, entsprechend den drei weltlichen Fakultäten der Universität – Juristen, Mediziner und Philosophen – und den beiden höheren Bildungseinrichtungen in Wien, der Akademie der bildenden Künste (Kunstakademiker) und dem polytechnischen Institut (Techniker). Berechtigt zum Beitritt waren alle ordentlichen Studierenden, die Doktoranden, sowie Angehörige der Doktorenkollegien und des Lehrkörpers (Professoren). Eine liberale Führungsgruppe aus Mitgliedern der Doktorenkollegien und des Lehrkörpers der Universität, aus dessen Kreisen viele Legionsoffiziere rekrutiert wurden, sicherte sich die Führungspositionen und versuchte, den Einfluss radikaler Revolutionäre einzudämmen. Ihre Leitideale waren ein übernationaler Freiheitsbegriff, ein starkes Nationalbewusstsein mit demokratisch-sozialer Ausrichtung und eine konstitutionelle Monarchie. Durch die Dominanz liberaler Ideen war die Legion zu kosmopolitisch für einen extremen Deutschnationalismus. Es herrschte Begeisterung für die revolutionären Bewegungen in Polen, Frankreich und besonders Ungarn.
Die Legion erhielt eine eigene Uniform, als deren hervorstechender Bestandteil später der Hut mit schwarzer Feder und Kokarde (zunächst weiß, später schwarz-rot-gold) zum Symbol des Revolutionärs wurde. Nur für unbemittelte Studenten wurde die Ausstattung teils aus öffentlichen Geldern, teils aus Spenden finanziert. Im Mai 1848 besaß die Legion eine Gesamtstärke von ca. 6000 Mann, welche jedoch im Laufe der folgenden Monate abnahm.
In der Bevölkerung besaß die Figur des Legionärs ein einzigartiges Ansehen. Die Studentenschaft verfügte über ein hoch entwickeltes politisches Bewusstsein, und die Aula der Universität, wo sich eine Wachstube der Akademischen Legion befand, wurde für einige Wochen zum wichtigsten politischen Zentrum in Wien. Hilfsbedürftigen wurde mit Rat und Tat zur Seite gestanden, Deputationen empfangen und Versammlungen angehalten. Insbesondere das Technikerkorps unterhielt gute Beziehungen zur Arbeiterschaft und beaufsichtigte die öffentlichen Erdarbeiten, welche zur Linderung der Arbeitslosigkeit durchgeführt wurden. Berichte in der nunmehr unzensurierten Presse über die Verdienste der Studenten für die junge Revolution schufen einen Mythos, der noch weit bis das 20. Jahrhundert hinein das Bild der Revolution von 1848 prägte.
Bei der Verfolgung ihrer politischen Ziele wurden von den Studenten neue und effektive Formen des Protests entwickelt: Massenversammlungen in der Aula, öffentliche Diskussionen, Katzenmusik gegen Repräsentanten der Regierung. Diese verlangte alsbald, dass sich die Akademische Legion aus allen politischen Debatten heraushalten sollte und nicht an Demonstrationen teilnehmen dürfe. Es gab Gerüchte, dass die Legion aufgelöst werden sollte.
Dies fachte nur den Oppositionsgeist der Legionäre weiter an. Im Verlauf der Mai-Revolution übernahmen sie die Initiative und bestimmten mit der „Sturmpetition“ vom 15. Mai (Rücknahme der oktroyierten Verfassung) und mit der Vertreibung des Militärs aus der Innenstadt sowie der Errichtung von Barrikaden (26. Mai), gemeinsam mit radikalen Teilen der Nationalgarde und Arbeitern aus den Vorstädten, den Gang der Ereignisse. Die Maitage zwischen Sturmpetition und Barrikadentag waren der letzte Höhepunkt der studentischen Oppositionsführung. Die Schließung der Universität und die Abreise vieler Studierender schwächten die Legion. Interne Führungskämpfe zwischen Liberalen und radikalen Demokraten beeinträchtigten die Handlungsfähigkeit.
Im Oktober, als sich die Niederschlagung der Revolution abzeichnete, stand die Legion zwar eindeutig auf Seiten der Radikalen, trat als selbständiger Akteur jedoch in den Hintergrund. Viele Legionäre übernahmen Offiziersrollen in den zur Verteidigung der Stadt eilig rekrutierten Mobilkorps. Die Eroberung Wiens durch kaiserliche Truppen und die Besetzung der Universität durch das Militär am 31. Oktober besiegelten auch das Ende der Akademischen Legion, welche schon am Folgetag für aufgelöst erklärt wurde.
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Zuletzt aktualisiert am : 17.09.2021 - 15:34