Universitätsgeschichtsschreibung

1854–21. Jhdt.

Eine Form der Erinnerungs- und Repräsentationskultur, die häufig in Verbindung mit Jubiläen der Institution (als Anlass) auftrat, ist jene der Universitätsgeschichtsschreibung, des Umgangs mit ihrer eigenen Vergangenheit. Seit dem 19. Jahrhundert und verstärkt seit den 1980er Jahren entwickelte sich an der Universität Wien allmählich eine rege Forschung zur eigenen Geschichte, parallel zu einer wachsenden Professionalisieurng des Archivs der Universität Wien.

Grundlagenarbeit im 19. Jahrhundert

Nach der großen Universitätsreform und -reorganisation der österreichisch-ungarischen Universitäten 1848/49 blieben an der Universität Wien noch bis 1873 alte ständische Strukturen (Doktorenkollegien) neben den neu geschaffenen (Professorenkollegien) bestehen. In diese Zeit fiel nun der Auftrag des neugeschaffenen Unterrichtsministeriums – Minister Graf Leo von Thun-Hohenstein – an den geschichtswissenschaftlich interessierten Verwaltungsjuristen des Ministeriums Rudolf Kink, der seit 1851 im Dienst des Unterrichtsministeriums stand, eine erste gesammelte Geschichte der kaiserlichen Universität zu Wien zu verfassen. Das erklärte Ziel der Publikation war es – nüchtern und pragmatisch formuliert –, sowohl für wissenschaftliche als auch staatliche Interessen „die reichhaltigen Materialien ihrer Geschichte zusammen gefasst, gesichtet und gegeneinander gehalten“ bereitzustellen:

„Denn erst dann war es möglich, zu antworten, wenn man fragte: worin bestehen die althergebrachten Privilegien, Gerechtsamen und Statuten der Wiener Universität? wie sind sie entstanden? in wie weit haben sie noch Geltung?“

Wahrend Band 2 als „Statutenbuch“ die relevanten Dokumente und Urkunden gesammelt und geordnet präsentierte, lieferte Band 1 die Hintergrundinformationen zur organisatorischen Entwicklung der Universität Wien sowie die inhaltliche Verbindung zwischen den präsentierten Urkunden.

Zum 500-Jahr-Universitätsjubiläum erschienen 1865 weitere Werke zur Universitätsgeschichte: Joseph Aschbach, seit 1853 Ordinarius für Geschichte der Universität Wien, erarbeitete das Werk „Geschichte der Wiener Universität“, deren erster Band, der das erste Jahrhundert 1365-1465 behandelte, als Festschrift zum Jubiläum 1865 erschien. Band 2, der sich mit den Humanisten des 15. und 16. Jahrhunderts beschäftigte, erschien erst 12 Jahre später 1877, Band 3 über die Gelehrten der Universität Wien 1520 bis 1565 wurde nach dem Tod Aschbachs erst 1888 durch dessen Schüler Adalbert Horawitz herausgegeben. Universitätsarchivar Karl Schrauf sowie Wenzel Hartl, Custos des Hofbibliothek, unterstützten bei der Herausgabe von Band 3 und gaben 1899 schließlich noch einen Supplementband heraus.
Ein anderes, aktuelleres Bild von der Universität Wien zeichnete 1865 Gerson Wolf seinem Werk „Studien zur Jubelfeier der Wiener Universität im Jahre 1865“, in dem er deutliche Kritik anklingen ließ. Wolf, der als Schriftsteller sowie als Religionslehrer im Auftrag der Israelitischen Kultusgemeinde arbeitete, behandelte darin Aspekte der Wiener Universitätsgeschichte, die sonst kaum zur Sprache kamen, besonders das Verhältnis der Juden zur Universität seit der Gründung, und übte Kritik am katholischen Charakter der Universität.

Aus Anlass des 50. Jubiläums der Thron­besteigung von Kaiser Franz Joseph I. gab der akademische Senat die „Geschichte der Wiener Universität von 1848 bis 1898“ in Form einer „Huldigungsschrift“ heraus. Verbunden wurde diese Dokumentation von grundlegendem Umbau und Veränderung im Zuge der Universitätsreformen mit einer Leistungsschau und einer selbstbewussten aktuellen Standortbestimmung als „Habsburgische Hausuniversität“. Da das Werk nach einem kurzen Rückblick auf die Universitätsgeschichte seit ihrer Gründung 1365 einen Schwerpunkt auf die letzten 50 Jahre legte, der nach Fakultäten gegliedert präsentiert wurde, setzte der Senat zur Durchführung der Arbeiten ein Comite aus Vertretern der verschiedenen Fakultäten ein. Unter Leitung des Obmanns Alfons Huber, der seit 1884 an der Universität Wien als Ordinarius für Allgemeine und Österreichische Geschichte lehrte, übernahm der emeritierte Philosophie­professor Robert von Zimmermann die Ausarbeitung. Beide verstarben noch im Jahr der Herausgabe. Die fachspezifischen Texte verfassten ausgewiesene Experten – für die Theologie Anton Wilhelm Neumann, für die Medizin Theodor Puschmann  und im Bereich der recht- und staatswissenschaftlichen sowie philosophischen Fächer wegen der interdisziplinären Breite Vertreter verschiedener Lehrkanzeln. Unterstützt wurde das Projekt auch von Universitätsarchivar Sektionsrat Karl Schrauf, der bis zu seinem Tod 1904 noch zwei weitere Werke zur Universitäts­geschichte veröffentlichte. Auffallend und möglicherweise mit ein Grund für die nachfolgende Rezession universitätshistorischer Schriften ist, dass ein Großteil der hier zentral aktiven Personen wenige Jahre später verstorben war.

1914-1945 | Universitätsgeschichtsschreibung zwischen politischen Umbrüchen

Als Vorarbeit für das 550. Jubiläum 1915 war bereits 1913 eine Publikation zur regen Neubautätigkeit für die Wiener Hochschulen erschienen, außerdem hatte sich die Universität Wien an der Ausstellung „Der Student“ beteiligt, die 1914 in der "Bugra", der großangelegten Internationalen Ausstellung für Buchgewerbe und Graphik in Leipzig gezeigt wurde. Die dafür zusammengetragenen Ausstellungsobjekte sollten den Grundstock für ein Museum der Universität Wien im bevorstehenden Jubiläumsjahr bilden, das aber nach Kriegsausbruch nicht mehr zustande kam. Unabhängig vom Jubiläumszyklus gab die Universität Wien 1929 einen weiteren universitäts­geschichtlichen Band heraus, der erstmals auch umfassend die Geschichte einzelner Institute betrachtete.

Nachkriegszeit

Unter dem Rektorat von Richard Meister wurde 1950 die Idee des bereits 1914 geplanten Universitätsmuseums vorübergehend verwirklicht. Das Museum, das im Kleinen Festsaal der Universität untergebracht war, bestand von 1950 bis 1956.
Anlässlich des groß gefeierten 600-jährigen Jubiläums der Universität Wien 1965 entwickelte v.a. Universitäts­archivar Franz Gall umfangreiche Publikationstätigkeiten zur Universitätsgeschichte. Er veröffentlichte einen Großteil der Schriften zur 600-jährigen Geschichte der „Alma Mater Rudolphina“, darunter sein Hauptwerk „Geschichte der Wiener Universität und ihrer Studenten“, das von der Österreichischen Hochschülerschaft herausgegeben wurde. Gall gestaltete begleitend eine universitätshistorische Jubiläumsausstellung, die für vier Monate in der Akademie der Bildenden Künste in Wien gezeigt wurde. Daneben ergänzte weiteres Schrifttum anderer Autoren und Institutionen die Jubelschriften. Franz Gall veröffentlichte 1970 noch ein Werk zur Geschichte der „Alten Universität“.

1980er Jahre bis 2015 | Kritische Aufarbeitung der Zeitgeschichte

Die lange Zeit vernachlässigte Beschäftigung mit der Rolle der Universität Wien während des Nationalsozialismus wurde rund um das Gedenkjahr 1988 erstmals breit thematisiert, zunächst noch auf Initiative einzelner HistorikerInnen. 1990 veröffentlichte die Universität Wien vier Schriften zum Thema „625 Jahre Universität Wien“, darunter die Dokumentation der vom Archiv der Universität Wien gestalteten Jubiläumsausstellung „Historische Spuren. Die Anfänge der Universität Wien“ im Universitäts­hauptgebäude, das Werk „Vertriebene Intelligenz“ von Kurt Mühlberger sowie jenes von Thomas Maisel zu den Denkmälern im Arkadenhof der Universität Wien ("Kopfprojekte"). Pläne zur Einrichtung eines dauerhaften Universitätsmuseums kamen in den 1980-er Jahren wieder verstärkt auf, wurden jedoch nach dem Jubiläum wieder abgebrochen. Bis heute übernimmt das Universitätsarchiv – das seinen Sitz im Gebäude der Alten Universität hat – die Rolle als Geschichtsspeicher der Universität.

Doch nicht nur das Archiv der Universität Wien unter Leitung von Kurt Mühlberger und Thomas Maisel lieferte in den letzten Jahrzehnten wesentliche Beiträge zu einer historisch-kritischen Aufarbeitung der Universitätsgeschichte. Verstärkt um die Jahrtausendwende kam es zunehmend zur aktiven Auseinandersetzung der Universität mit ihrer NS-Vergangenheit im Rahmen von Forschungsprojekten, wissenschaftlichen Symposien, Lehrveranstaltungen und Publikationen. 2006 wurde das Forum "Zeitgeschichte der Universität Wien" als Koordinationsstelle von Aktivitäten zur Aufarbeitung der Universitätsgeschichte im 20. und 21. Jahrhundert gegründet, das am Institut für Zeitgeschichte verankert ist.

Im Sinne einer kritischen Geschichtsschreibung widmete sich auch die zum Jubiläum 2015 herausgegebene Festschrift „650 Jahre Universität Wien – Aufbruch ins neue Jahrhundert“ keiner reinen Leistungsschau. Mit aktuellen Forschungsergebnissen wurde in den drei thematisch geordneten Bänden sowie dem vierten disziplinär orientierten Band der Schwerpunkt rund auf die letzten 160 Jahre, also das sogenannte "lange 20. Jahrhundert"(ab 1848), gelegt. Im Kontrast zu der Festschrift, die ein historisch beschlagenes Fachpublikum anspricht, soll diese Website Informationen zur Universitätsgeschichte auch für eine breitere interessierte Öffentlichkeit verfügbar machen. Zum Jubiläum 2015 wurden noch zahlreiche weitere Publikationen und Ausstellungen zur Universitätsgeschichte erarbeitet (z.B. Ausstellung „Bedrohte Intelligenz“ über die Vertreibung von Lehrenden und Studierenden 1938, die Publikation „Stätten des Wissens“, die die universitären Gebäude in den Blick nimmt, oder die Ausstellung der Österreichischen HochschülerInnenschaft zu ihrer Geschichte (Juni 2015)).